»Wir haben unsere Musik immer mit dem Gedanken im Herzen gemacht, sie könnte dazu beitragen, dass die Menschen die Juden lieben. Aber es hat nicht funktioniert.« Also spielen die Musiker nur noch für die Ohren. Diese Sätze mögen resignierend klingen.
»Realistisch« würde sie der Baron nennen, der den bunt gescheckten Haufen anführt, der im Zentrum von Joann Sfars Klezmer-Comics steht. Der fünfte Band schließt die zwischen Poesie und Pogrom, Froh- und Trübsinn changierende, aber stets von Lebenslust getränkte Serie nun ab: Tollhaus Kischinew.
Die Reise begann in Band 1 mit einem Judenmord und wird auch mit einem solchen enden. Anfang des 20. Jahrhunderts überlebt der Baron als Einziger den Angriff auf eine Klezmer-Kapelle, die sich in der polnischen Armee formiert hatte. So schlägt er sich allein durch auf der Suche nach anderen Musikern.
Abenteuer Auf dem Weg nach Odessa trifft er die gesangsstarke Chava, die ihren Eltern entlaufen ist. Bald gesellen sich die ehemaligen Jeschiwaschüler Jaacov und Vincenzo hinzu, schließlich auch Rom Tchokola. Sie feiern das Leben, erleben allerlei skurrile Abenteuer und Verliebtheiten. Die Freigeister wollen von Religion und Ideologien nichts wissen, doch immer wieder geraten sie in deren Sog, taumeln und straucheln deshalb.
Fast vergisst man den Hintergrund der Story. Doch bricht Band fünf jäh mit der fröhlichen Fassade. Ihre Fahrt führt die musikalischen Fünf direkt nach Kischinew, wo sie das gerade stattgefundene Pogrom dokumentieren und es rächen wollen. Doch Joann Sfar lässt sie ihr Ziel nie erreichen. Sein Interesse gilt häufig dem osteuropäischen Judentum, etwa in Chagall in Russland; einer seiner Großväter stammt aus der Ukraine.
Seine Familie habe sich immer geschämt, nicht nach Israel ausgewandert, sondern in Europa geblieben zu sein, erklärte der Autor und Zeichner einmal im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen seinen Antrieb. In Klezmer kreist er um die Entscheidungsfrage: Auswandern oder bleiben? Eigentlich hält sie nichts, und doch lässt Sfar seine Figuren nicht ankommen. Weder im rettenden Asyl noch in der Todesstunde. Er könne diese nicht darstellen, schreibt er im Nachwort.
Rausch Und doch bereitet die Serie große Freude. Der Ernst gerät nie ganz aus dem Blick, aber in den lustvoll überschießenden Zeichnungen geht es lakonisch bis lustig zu. Die Tatsachen des Lebens von Rausch und Ekstase, Ausgelassenheit und Langeweile, Gewalt und Liebkosung werden in drastischen Darstellungen eingefangen. Eine zentrale Rolle spielt natürlich die Musik.
Lautmalerische Akustikfetzen und Liedzeilen ziehen sich über die Seiten. Anmerkungen klären Unkundige über Klezmer auf. Eine rotzige Haltung, ein »Trotzdem« und »Jetzt erst recht« kennzeichnet die Figuren und macht sie so sympathisch – und deswegen leidet man mit ihnen gerade im fünften Band.
Expressive, krakelige Linienführung und hingekleckste Wasserfarbenseen halten die Geschichte fest. Über die neun Entstehungsjahre lassen sich leichte Veränderungen im kraftvoll bleibenden Stil beobachten. Die anfänglich noch klarere Panelstruktur wird aufgebrochen, Sfar erlaubt sich mehr Freiheiten und fügt seitenfüllende, verschwimmende Sequenzen hinzu. »Lest Maus!«, schreibt er mit Hinweis auf Art Spiegelmans grandiose Comic-Darstellung des Undarstellbaren. »Sfar auch!«, muss man hinzufügen. Seine Feier der Klezmer-Kultur lässt diese jenseits des Folkloristischen aufleben und zelebriert ihre lustvolle Vitalisierung.
Joann Sfar: »Klezmer, Bd. 5: Tollhaus Kischinew«. Übersetzt von Claudia Sandberg. Avant, Berlin 2017, 128 S., 19,95 €