Eliza Hittman

Zwischen Lebenslust und Schmerz

Eliza Hittman (M.) mit ihren beiden Hauptdarstellerinnen bei der Filmpremiere in new York Foto: imago

Das Filmgeschäft ist ja immer auch Spektakel: Da sind viele Egozentriker unterwegs, die mit einem Wimpernschlag einen ganzen Raum in den Bann ziehen oder gegen sich aufbringen wollen. Eliza Hittman ist das genaue Gegenteil. Selten trifft die Beschreibung »einnehmende Bescheidenheit« derart zu wie auf die jüdisch-amerikanische Regisseurin.

Interviewsituationen etwa bestreitet die Frau mit den schulterlangen dunkelbraunen Haaren mit wachen Augen und suchend am Mikrofon tänzelnden Händen. Sie lauscht konzentriert den Fragen, strahlt dabei manchmal eine gewisse Nervosität aus, antwortet aber schließlich mit wohlbedachten Worten.

Wer vom weiblichen Blick im Kino spricht, kommt heute um Eliza Hittman nicht mehr herum.

Auf der Pressekonferenz der Berlinale, wo sie im Frühjahr für ihr Drama »Never Rarely Sometimes Always«, deutsch »Niemals Selten Manchmal Immer«, mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, umriss sie ihre Vorstellung von Film: »Das Kino ist eine Gelegenheit, das Publikum auf unerwartete Reisen mitzunehmen und ihm ein tieferes Verständnis dafür zu vermitteln, was es bedeutet, ein Mensch am Rande der Gesellschaft zu sein. Und ich denke, dass Frauen in unserem Land sehr am Rande der Gesellschaft stehen.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Letzteres ist ein Wink in Richtung Donald Trump, der mit seiner Regierung gegen das in den USA gesetzlich verankerte Recht auf Abtreibung poltert. »Niemals Selten Manchmal Immer« erzählt von einer ungewollt schwangeren 17-Jährigen, die aus der Provinz nach New York reist, um dort abzutreiben. Niemand hat sich dem Thema bisher so sensibel, hart, rührend und vielschichtig genähert. Der Film hätte in Berlin ebenso den Goldenen Bären verdient. 

Hittmans dritter Langspielfilm ist die konsequente Fortsetzung ihres zentralen Themas: das Erwachsenwerden in all seiner Komplexität zwischen vermeintlicher Freiheit, Lebenslust und Schmerz. Sooft von jugendlichen Ängsten und Nöten erzählt wurde, in Abertausend Filmen, so frisch erscheint Hittmans Zugang. Sie wandelt jenseits verkitschter Coming-of-Age-Mythen und bringt in ihren Filmen Poesie und Realismus zusammen. 

Vielleicht rührt ihr einfühlsamer Blick auf Adoleszierende daher: aus dem Bewusstsein über die eigene Herkunft und Sozialisation.

Vieles findet sich schon in ihrem Kurzfilm »Forever’s Gonna Start Tonight« (nach dem Bonnie-Tyler-Song), mit dem sie 2011 beim Filmfestival in Sundance erstmals für Aufsehen sorgte. Es geht um eine Teenagerin aus dem russischen Milieu Brooklyns, die mit ihrem katzenverrückten Vater in einfachen Verhältnissen wohnt und nachts mit einer Freundin feiern geht: eine Disco, Alkohol, Jungs, erste schlimme sexuelle Erfahrungen. Bereits hier erzählt Hittman in Nahaufnahmen mit jener intimen Distanz ihrer späteren Werke und findet ein traurig-schönes Bild für das Erwachsenwerden: Als eine Zwangsräumungsdrohung wegen der Tiere an der Tür hängt, setzt die Tochter einen Karton voller Kätzchen am Strand aus. 

An diesen Strand kehrt die Regisseurin in ihren Filmen immer wieder zurück. Es ist ihr Strand, Brooklyn ihre Heimat. In dem New Yorker Stadtteil wurde sie 1979 geboren und wuchs als Tochter eines Anthropologen und einer Sozialarbeiterin auf. Bevor sie 2010 durch einen Filmregie-Master endgültig zum Film kam, machte sie 2001 einen Bachelor in Theater und Schauspiel.

Mit ihren Geschichten über an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Jugendliche wirkt es beinahe, als seien ihre Filme die künstlerische Verlängerung der elterlichen Berufe. Vielleicht rührt ihr einfühlsamer Blick auf Adoleszierende daher: aus dem Bewusstsein über die eigene Herkunft und Sozialisation.  

Von den Fesseln der Erwartungen handelt auch »Beach Rats«, allerdings aus männlicher Perspektive.

Jedenfalls ist das Feingefühl, mit dem sie in den Erfahrungshorizont ihrer Figuren eintaucht, erstaunlich. Mit ihrem Langfilmdebüt »It Felt Like Love« (2013) und dem Folgefilm »Beach Rats« (2017) steckt die Regisseurin auf bestechende Weise das Gebiet der jugendlichen Identitätsfindung ab. »It Felt Like Love« erzählt von einer Teenagerin, die ihrer sexuell erfahrenen besten Freundin nachzueifern versucht und sich auf einen für seine Promiskuität bekannten Mann fixiert. Es beginnt am Strand von Brooklyn, rauschende Wellen, dann ein Blick in die Kamera: ein Film durch die Augen einer jungen Frau, über ihr Gefühl der Selbstsuche und, verstärkt durch drastische Momente am Ende, ihrer teilweisen Selbstaufgabe. 

Von den Fesseln der Erwartungen handelt auch »Beach Rats«, allerdings aus männlicher Perspektive. Hittman erzählt vom heimlichen schwulen Erwachen eines Halbstarken im sozial schwachen Teil Coney Islands in einer Gesellschaft voll toxischer Männlichkeit und Homophobie. Die empathischen Bilder der französischen Kamerafrau Hélène Louvart, mit der Hittman seit »Beach Rats« zusammenarbeitet, folgen dem unnahbaren Helden mit zärtlicher Dis­tanz; sie erkunden physische Männlichkeit, indem sie muskulöse, verschwitzte Oberkörper abtasten, und zeigen die sexuellen Begegnungen mit anderen Männern explizit, ohne voyeuristisch zu sein. 

Wer vom weiblichen Blick im Kino spricht, kommt heute um Eliza Hittman nicht mehr herum. Ohne lautes Tamtam, ohne unnötige ästhetische Spielereien nähert sie sich ihren Protagonistinnen und Protagonisten, respektvoll, einfühlsam. Sie erzählt von weiblicher Sexualität, ohne die Körper ihrer Figuren zu sexualisieren, sie dreht in »Beach Rats« den männlichen pornografischen Blick um, wenn sie, wie sie es im Interview nennt, die »Hypermaskulinität« der Machos einfängt, und holt mit »Niemals Selten Manchmal Immer« ein zu lange tabuisiertes Thema an die Oberfläche. 

Es ist nebensächlich, ob man die Regisseurin als die feministische Filmemacherin feiern sollte. Eliza Hittmans Kunst spricht für sich.

»Sogar eine kleine Berührung kann verletzen. Ich wollte die Zuschauer mit Bildern in die Situation der Frauen versetzen«, erklärte die Regisseurin bei der Pressekonferenz zu ihrem Drama auf der Berlinale. Einmal tätschelt darin ein fremder Mann wie selbstverständlich eine weibliche Schulter. Es braucht nicht mehr, um zu sagen: Eine Grenze wurde überschritten. 

Und es ist dann auch eigentlich nebensächlich, ob man die Regisseurin als die feministische Filmemacherin feiern sollte. Eliza Hittmans Kunst spricht für sich: Ihre Bilder, von Hélène Louvart auf zeitlosen 16-mm-Film gebannt, sind pure, intime, ehrliche ­Kinematografie.

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  23.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  23.04.2025

27. Januar

Der unbekannte Held von Auschwitz

Der »Berufsverbrecher« Otto Küsel rettete Hunderten das Leben. In Polen ist er ein Held, in Deutschland fast unbekannt. Das will Sebastian Christ mit einem Buch ändern, für das er 20 Jahre lang recherchiert hat

 23.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 23.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  23.04.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Hochzeitsnächte und der Vorhang des Vergessens

von Margalit Edelstein  22.04.2025

Graphic Novel

Therese Giehse in fünf Akten

Barbara Yelins Comic-Biografie der Schauspielerin und Kabarettistin

von Michael Schleicher  22.04.2025

TV-Tipp

Arte-Doku über Emilie Schindler - Nicht nur »die Frau von«

Emilie und Oskar Schindler setzten sich für ihre jüdischen Arbeiter ein. Am 23. April läuft auf Arte eine Doku, die Emilie in den Mittelpunkt rückt

von Leticia Witte  22.04.2025

Kino

Film zu SS-Plantage »Kräutergarten« kommt ins Kino

Der Ort ist fast vergessen: Häftlinge im KZ Dachau erlitten dort Furchtbares. Nun erinnert der Dokumentarfilm »Ein stummer Hund will ich nicht sein« daran

 22.04.2025