Chilly Gonzales hat sich zum Treffen Brahms-Sticker ans Revers geheftet. Der kanadische Pianist mit Wohnsitz in Köln schätzt den deutschen Komponisten mindestens genauso wie Johann Sebastian Bach, Gabriel Fauré oder Felix Mendelssohn. Und das sind nur ein paar der Musiker, auf die sich Jason Beck, wie Chilly Gonzales eigentlich heißt, auf seinem neuen Album Chambers bezieht. Der Albumtitel stammt von »chamber music«, also von Kammermusik, die Gonzales mit dem Kaiser Quartett aus Hamburg spielt und mit dem er derzeit auch durch die großen Klassiksäle der Republik tourt.
Selbstzufrieden lümmelt Chilly Gonzales auf dem Sofa der Pianogalerie und schwärmt von seinem Konzert, das er Mitte Mai in der Berliner Philharmonie gegeben hat: »Seit letztem Herbst war die Show ausverkauft!« Für einen Pianisten, der Kammermusik spielt, ist ein solcher Erfolg in Berlins altehrwürdiger Musikweihestätte wahrlich nicht zu verachten. Doch Gonzales wiegelt ab: »Dort darf doch jeder spielen – solange er die Bude voll kriegt!«
Mischung Der schnodderige Tonfall passt zu dem Pianisten, der als Enfant terrible der klassischen Musik gilt und für seinen legeren Umgang mit den Säulenheiligen der Klassik bekannt ist. Das spiegelt sich auch im Programm seines aktuellen Albums wider, auf dem er dennoch auch seine Seite als ernsthafter Komponist zeigt und viel reifer als früher klingt. Neben Klassik gibt es dort Anleihen von Daft Punk bis hin zu John McEnroe, dem Tennis-Rüpel der 80er-Jahre – eine eingängige Mischung aus Klassik, Hip-Hop und Pop.
Aller Kritik zum Trotz hat Chilly Gonzales damit enormen Erfolg. Der 1972 geborene Kanadier bietet einen unverstellten Blick auf Klassik und schert sich nicht um die Trennung zwischen sogenannter U- und E-Musik. Studiert hat er ursprünglich Jazz-Piano, doch direkt im Anschluss hat er sich mit Pop-Musikern wie Peaches und Feist zusammengetan. Spätestens seine Auftritte mit Helge Schneider oder Socalled haben ihm den Ruf eingetragen, stilistisch keine Berührungsängste zu besitzen. 2009 hat er obendrein einen Weltrekord aufgestellt, als er ein Pianokonzert spielte, das sage und schreibe 27 Stunden lang dauerte.
Untrennbar mit dem Arbeitsethos des Kanadiers ist die Pose des genialischen Pianisten verbunden. Die Kunstfigur Chilly Gonzales hat der Musiker 1998 entwickelt, als er von Montreal nach Berlin zog. Zu dieser Figur gehören auch Auftritte im Morgenrock, ein untrügliches Gespür für Entertainment und vor allem eine große Prise Humor. Chilly Gonzales bezieht sich dabei explizit auf Woody Allen, Sacha Baron Cohen und Groucho Marx.
Jüdischkeit Natürlich ist er sich dabei bewusst, dass es sich um jüdische Komiker handelt. »Ich komme aus einer säkularen jüdischen Familie«, sagt Gonzales. »Als meine Großeltern 1941 aus Ungarn nach Kanada geflohen sind, haben sie ihre Jüdischkeit in der Alten Welt zurückgelassen. Ich bin nicht religiös aufgewachsen, hatte nicht mal eine Barmizwa. Jüdisch zu sein, ist für mich eher eine kulturelle Angelegenheit.«
Und das schließt auch seinen Musikgeschmack ein. »Ich empfinde es wirklich als Zumutung, dass ich in Köln, wo ich seit 2012 lebe, tagtäglich durch die Richard-Wagner-Straße gehen muss. Dieser ekelhafte Antisemit. Fuck Wagner! Es gibt so wunderbare, weltoffene Komponisten. Soll man die Straßen doch nach denen benennen. Nach Johannes Brahms zum Beispiel. Der Komponist hat – anstatt deutschzutümeln und Juden zu hassen – die unvergleichlichen und wunderbaren Ungarischen Tänze komponiert«. So einen trägt man doch gern am Revers.
Chilly Gonzales: Chambers. Gentle Thread 2015. Sony Music
28.5. Alte Oper, Frankfurt
21.6. Philharmonie, München
29.6. Laeiszhalle, Hamburg