Burgtheater, Internationale Filmfestspiele von Cannes, Salzburger Festspiele und Deutscher Filmpreis: Karrierehöhepunkte, die sich bei manchen Schauspielern über die gesamte Biografie verteilen, erlebte Deleila Piasko in gerade einmal vier Jahren. Einer zunächst klassischen Theaterlaufbahn schlossen sich schon bald markante Rollen in Filmproduktionen an.
Ob als mutige Fluchthelferin Lisa Fittko in der Historien-Netflix-Serie Transatlantic oder als selbstbewusste Tochter Dana in dem Familienporträt Die Zweiflers, das zum jüdischen Fernsehereignis des vergangenen Jahres avancierte: Die mimische Haltung der gebürtigen Züricherin ließe sich am ehesten als »aufrecht« charakterisieren. »Erhaben« wäre ein weiteres Wort, obwohl es für eine 34-Jährige vielleicht eine Spur zu antiquiert klingt.
Dennoch meint man bei Piasko selbst in einer auf Tempo getrimmten, jugendlichen Thriller-Serie wie Der Schatten den Anflug einer Bühnenerscheinung aus einer längst vergangenen Epoche zu erkennen. Ihr herausfordernder Blick, gleichzeitig etwas undurchdringlich und streng, begleitet von einem sich noch subtil meldenden schweizerischen Duktus verpassen ihrem Spiel eine sinnliche Reserviertheit, die nachhallt.
»Ambiguität muss möglich sein«, so Deleila Piasko. Sie trat auch im Stück »Die Vögel« auf.
Kein Wunder, dass die Wahl von Regisseur Robert Carsen bei der Besetzung der Rolle der Buhlschaft im Jedermann bei den Salzburger Festspielen auf Piasko fiel. In dem seit 1920 aufgeführten Klassiker über Materialismus, Hedonismus und den Sinn des Lebens angesichts des Todes sorgte sie im vergangenen Theatersommer in der Nachfolge von Größen wie Senta Berger, Nina Hoss und Sophie Rois für ein Gegengewicht zum Hallodri des Jedermann.
Filmrollen mit jüdischem Bezug
Dass so viele ihrer Filmrollen einen jüdischen Bezug haben, kommt nicht von ungefähr: Deleila Piasko stammt aus einer fest im Schweizer Judentum verwurzelten Familie. Ihre Eltern lernten sich in der Gemeinde kennen, im Interview spricht sie selbstverständlich vom »Dawnen«, von »Gojim« und der »Schul«. Auch wenn die Herkunftsprägung in ihrem heutigen Alltag eher in den Hintergrund tritt, bleibt sie ein konstanter Faktor. »Ich weiß um die Kraft von Traditionen und Gemeinschaft und habe immer ein warmes Gefühl der Verbundenheit in der Synagoge. Da fühle ich mich sehr zu Hause, mit den Gesängen bin ich aufgewachsen.«
Dem Schauspiel, ihrer Leidenschaft von Kindesbeinen an, kam der jüdische Kosmos durchaus entgegen. »Im Restaurant bin ich als kleines Mädchen auch schon mal auf den Stuhl gestiegen und habe Ma Nischtana angestimmt«, erinnert sie sich lachend. Dass Purim, verkleidet als Clown oder Prinzessin mit blauen Haaren, zu ihren Lieblingsfesten gehörte, versteht sich fast von selbst.
Als 20-Jährige erhielt Piasko die Zusage von der renommierten Schauspielschule Ernst Busch. Das brachte den Umzug nach Berlin mit sich – ein Kulturschock. Als enorm einschüchternd beschreibt sie den Wechsel aus dem heimischen Züricher Vorort, »wo man immer den Geruch der Lindt-Schokoladenfabrik in der Nase hat«, in die deutsche Hauptstadt, in der olfaktorisch eher andere Gerüche dominieren – ein Grundgefühl, das sie in der Schauspielschule noch lange beschäftigen sollte. »Ich habe mich sehr für meinen Schweizer Akzent geschämt und im Improseminar versucht, möglichst nonverbal zu agieren«, berichtet sie noch heute merklich angefasst. Doch sie beißt sich durch, schleift ihr Schwyzerdütsch, gewinnt ihre Stimme zurück und spielt sich frei.
Aneignende Beharrlichkeit
Diese aneignende Beharrlichkeit schimmert auch in einer Episode aus ihrer Züricher Zeit durch, als sie sich wie auch einige ihrer Freundinnen einer orthodoxen Jugendgruppe anschließt, deren Frömmigkeit sie jedoch bald überfordert. »Ich habe immer davor die Tasche ins Gebüsch geworfen und so getan, als wäre ich nicht mit dem Bus gefahren. Ich wusste auch einfach nicht so genau, was man alles nicht machen darf an Schabbes.«
Sie habe dennoch versucht, weiter am Ball zu bleiben. Piasko stürzte sich auf Gebetstexte, deren Inhalte ihr zwar irgendwie fremd blieben, deren Kraft sie aber bis heute fasziniert. Ihren leichten Akzent, der sich heute kaum mehr identifizieren lässt, mag Piasko mittlerweile recht gern. »Er ist ein kleines Geheimnis«, sagt sie verschmitzt.
»Introvertiert« sei sie weiterhin, behauptet Piasko von sich selbst.
»Introvertiert« sei sie weiterhin, behauptet Piasko von sich selbst – das klingt überraschend für eine Frau, die das expressive Dasein im Scheinwerferlicht zu ihrer Profession erkoren hat. Doch die Neugierde auf die Welt und der Drang, sich mit sich selbst und der Umwelt auseinanderzusetzen, ja zu ringen, sind stärker. »Ich finde nicht, dass Spielen destruktiv sein muss, aber es muss dich etwas kosten«, sagt sie mit Nachdruck und einer gewissen Strenge, die diesem Bekenntnis eine fast aristokratische Gravität verleiht.
Möglichst komplexe Charakterzeichnungen
Das Ringen macht auch vor jüdischen Stoffen und Rollen nicht halt, die ihr nun immer öfter angeboten werden. Ob bei den Zweiflers oder auch in dem umstrittenen Theaterstück Die Vögel von Wajdi Mouawad, in dem sie in Wien auftrat, es geht ihr stets um möglichst komplexe Charakterzeichnungen. »Ambiguität muss möglich sein, man muss jüdische Menschen auch als kantige, komplexe Wesen und nicht nur als leidende Heilige porträtieren.«
Nur so könne auch Empathie aufgebaut werden. Vielleicht macht sich in dieser Unerschrockenheit dann doch wieder ihre Herkunft bemerkbar. »Für mich als Schweizer Jüdin bedeutet Judentum primär Kultur, und auch den verkrampften Philosemitismus habe ich erst in Deutschland kennengelernt.«
Wegen des großen Erfolgs wird es in diesem Jahr in Salzburg eine Neuauflage des Jedermann mit Deleila Piasko geben. Fehlt es bei dem Bussi-Bussi-Rummel anlässlich der Festspiele in Salzburg nicht etwas an Ambiguität? Die Schauspielerin winkt ab, als wolle sie sich die Möglichkeit nicht nehmen lassen, noch etwas über das Spektakel und ihre Rolle darin zu staunen: »Ich sehe es als Geschenk und Kompliment, es macht mir Spaß, in verschiedene Welten zu kommen.«
Man darf auf die nächsten Karrierehöhepunkte Piaskos gespannt sein. Der Platz der »dankbaren Diva« ist in der Filmgeschichte noch frei.