Wer den Begriff Staub hört, denkt in erster Linie an lästigen Schmutz, der immer dann besonders auffällt, wenn man gerade vermeintlich gründlich geputzt hat. Allergiker wissen auch um die gesundheitsgefährdenden Aspekte des Staubs. Weniger bekannt ist, dass Staubstürme auch eine ernst zu nehmende generelle Gesundheitsgefahr darstellen und zudem ökologisch ein großes Problem sind.
Atemwegserkrankungen, die durch das Einatmen von Staub und anderen Partikeln in der Luft verursacht werden, sind weltweit eine der Haupttodesursachen. Erschwerend kommt hinzu, dass Staubpartikel, die ungehindert von Land zu Land und von Kontinent zu Kontinent wandern, Krankheitserreger verbreiten können und möglicherweise zum Ausbruch von Pandemien beitragen.
Kleinere Staubpartikel können Tausende von Kilometern weit geweht werden.
Darüber hinaus haben Staubwolken einen immensen Einfluss auf das Klima: Sie absorbieren und verteilen die Sonnenstrahlen und verändern so die Temperatur der Erde – außerdem beeinflussen sie auch die Eigenschaften der Wolken und die Niederschlagsmuster.
Das übliche Verbreitungsgebiet von Staubstürmen sind Trockengebiete wie der Negev, die Arabische Halbinsel, die Sahara und die Wüsten Nordamerikas und Asiens. Der Wind wirbelt winzige Partikel (0,002 bis 0,063 Millimeter) vom Boden auf, und während die größeren Sandpartikel (0,063 bis 2 Millimeter) in der Nähe des Entstehungsortes des Sturms absinken, können die kleineren Staubpartikel Hunderte oder gar Tausende Kilometer weit weggeblasen werden.
warnung Eine frühzeitige Warnung vor Staubwellen könnte dazu beitragen, gefährdete Bevölkerungsgruppen zu schützen und die Zerstörung von Ernten zu verhindern – und, als Bonus, uns vor dem sinnlosen Putzen unserer Häuser bewahren. Staubstürme sind aufgrund der winzigen Partikelgröße und ihrer raschen Ausbreitung sowie ihrer riesigen Ausdehnung nur schwer vorauszusagen. Doch die rasche Entwicklung und Ausbreitung dieser Stürme sowie die Tatsache, dass sie sich über gewaltige Gebiete erstrecken, machten es bisher nahezu unmöglich vorherzusagen, wann, wo und wie stark sie jeweils zuschlagen werden.
Eine neue Studie von Forschern der Abteilung für Erd- und Planetenwissenschaften des Weizmann Institute of Science in Tel Aviv könnte jetzt den Durchbruch bei der zuverlässigen Vorhersage von Staubstürmen bringen. Die Studie »Deep multi-task learning for early warnings of dust events implemented for the Middle East« (Umfassendes Multi-Tasking-Lernen für Frühwarnungen bei Staubereignissen im Nahen Osten) von Ron Sarafian, Dori Nissenbaum und Yinon Rudich, die in der Fachzeitschrift »npj Climate and Atmospheric Science – Nature« veröffentlicht wurde, entstand in Zusammenarbeit mit Shira Raveh-Rubin, ebenfalls vom Weizmann-Institut. Yinon Rudich leitet unter anderem das Ilse Katz Institute for Material Sciences and Magnetic Resonance Research.
Ein wesentlicher Antrieb für die Studie war der Einfluss der vom Menschen gemachten Umweltveränderungen. So schreiben die Forscherinnen und Forscher zu Beginn ihrer Studie: »Da dieses Phänomen aufgrund des Klimawandels und von Dürreperioden das Leben vieler Menschen weltweit gefährdet, gewinnt die Untersuchung der Entstehung und Vorhersage von Staubereignissen immer mehr an Bedeutung.«
erkenntnisse Ursprünglich hofften die Wissenschaftler, Erkenntnisse aus dem Bereich der Computer Vision nutzen zu können. Da meteorologische Daten eines Staubsturms als eine Reihe von Satellitenbildern dargestellt werden können, nahmen sie an, dass ein künstliches neuronales Netz in der Lage sein würde, diejenigen Muster zu »lernen«, welche die Ausbreitung von Stürmen bestimmen – so wie diese Netze gelernt haben, Videos von verschiedenen Tieren oder Objekten zu erkennen.
Ihre Hoffnungen haben sich jedoch nur teilweise erfüllt. Ein handelsübliches Bild besteht aus nur drei Grundfarben (Rot, Gelb, Blau), die sich zum Teil überschneiden. Meteorologische »Bilder« hingegen haben nicht weniger als 60 Variablen: Temperaturdaten, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit und so weiter.
Während computergestützte Bildverarbeitungssysteme auf maschinelles Lernen auf der Grundlage von Archiven mit Millionen von Bildern angewiesen sind, standen für ein künstliches neuronales Netz, das Staubstürme erkennen sollte, nur sehr wenige Bilder zur Verfügung: Israelische Forscher verfügen über gerade einmal 60.000 dieser meteorologischen »Filme«, nachdem sie rund zwei Jahrzehnte lang detaillierte Daten von Satelliten und Bodenstationen gesammelt hatten. In dieser relativ begrenzten Sammlung finden sich nur selten mehrere Fälle, in denen sich ein Staubsturm am selben Ort bildet.
überanpassung In solchen Fällen könnten künstliche neuronale Netze, die versuchen, die Muster für die Bildung von Staubstürmen, etwa in Beer Sheva, zu erlernen, unter einer sogenannten Überanpassung leiden. Das heißt, sie könnten Muster formulieren, die auf begrenzten Erkenntnissen basieren, und zu falschen Schlussfolgerungen führen, wenn neue, noch nicht erlernte Bedingungen entdeckt werden.
Das Netz kann auch Staubstürme in anderen Teilen von Nahost und weltweit vorhersagen.
Zu ihrer Überraschung entdeckten die Forscher, dass die Vorhersagen verbessert werden konnten, indem man dem künstlichen neuronalen Netz das Leben schwer machte. Deshalb befahlen sie dem Netz nicht nur, zu lernen, wann ein Staubsturm voraussichtlich einen bestimmten Punkt erreicht, sondern dazu noch, ein zusätzliches Problem zu bewältigen: den Überblick über das viel größere Gebiet zu behalten, in dem sich der Staub ausbreiten wird.
Um beispielsweise vorhersagen zu können, wann ein Staubsturm wahrscheinlich Beer Sheva erreichen würde, lernte das Netz, wie stark der Sturm den Libanon beeinträchtigt hatte. Auf diese Weise hatte das Netz Zugang zu einer viel größeren Datensammlung, aus der es auch etwas über die physikalischen und meteorologischen Umstände der Staubausbreitung lernen konnte. Bei den meisten Vorfällen, die das System nicht prognostizieren konnte, handelte es sich um Stürme, die sich schnell in einem begrenzten Gebiet entwickelten, sodass es schwierig war, regionale Daten zu sammeln, die bei der Vorhersage helfen könnten.
hilfsproblem Durch die Hinzufügung eines Hilfsproblems zu einem künstlichen neuronalen Netz konnten mehr als 80 Prozent der Staubstürme, die sich in Israel während des staubreichen Winters und Frühjahrs entwickelten, 24 Stunden vor ihrer Entstehung vorhergesagt werden. »Das auf der Grundlage von Daten aus Israel trainierte Netz kann mit einigen Anpassungen auch Staubstürme in anderen Teilen des Nahen Ostens und sogar weltweit vorhersagen«, sagt Ron Sarafian zu der Studie.
»Darüber hinaus haben wir eine Architektur geschaffen, die helfen könnte, andere seltene Ereignisse vorherzusagen, die mit meteorologischen Daten verbunden sind, wie extreme Regenfälle oder Sturzfluten.« Neben der Modellarchitektur untersuchten die Wissenschaftler auch verschiedene Längen und Frequenzen der Zeitreiheneingabe.
Dabei fanden sie heraus, dass eine 96-Stunden-Historie mit Zwölf-Stunden-Zeitintervallen, das heißt acht Bilder pro Stichprobe, im Hinblick auf die lokale Staubvorhersageleistung optimal ist. »Diese Struktur stellt einen Kompromiss dar zwischen langen Sequenzen korrelierter Bilder, die das Netzwerk überfluten, und kurzen oder zu dünnen Sequenzen, die eine Verallgemeinerung verhindern.«
datensammlung Yinon Rudich ergänzt: »Die bedeutendste Errungenschaft dieser Forschung, die wir bereits in unserer Folgestudie umsetzen, ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, um eine große, reichhaltige Datensammlung zu scannen und die physikalischen Prinzipien und atmosphärischen Prozesse auf eine Art und Weise zu untersuchen, die uns bisher nicht zur Verfügung stand.« Eine weitere Studie aus Rudichs Labor, die ebenfalls in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlicht wurde, deckt auf, warum Staubstürme teilweise so gesundheitsschädlich sein können.
Die Forscherinnen und Forscher um den Promovenden Burak Adnan Erkorkmaz und Daniela Gat wiesen in Proben von Staubkörnern nach, dass viele verschiedene Arten von Bakterien, insgesamt etwa 5000 Stück, bei Staubstürmen auf den Körnern mitgereist waren. Laut einer speziellen Überprüfung, der sogenannten RNA-Sequenzierung, hatten etwa zehn Prozent aller Bakterien die Reise lebendig überstanden.
Bei einigen dieser Bakterien handelt es sich um bekannte Krankheitserreger bei Menschen, Tieren und Pflanzen. Eine Gattung, die in den Proben identifiziert wurde, Pseudomonas, hat Arten, die Infektionen bei Menschen und Nutztieren auslösen können.
Zehn Prozent aller Bakterien überleben die Sturmreisen auf Staubkörnern.
Andere spielen eine wichtige Rolle bei pflanzlichen Prozessen und sind nicht unbedingt krankheitserregend. Sphingomonas zum Beispiel ist eine Gattung mit Arten, die bei der Gärung von Wein eine Rolle spielen. Eine Gattung, auf welche die Forscher gestoßen sind, Methylorubrum, umfasst Arten, die die Reifung und den Geschmack von Erdbeeren beeinflussen. Die Studie zeigte auch, dass größere Partikel mehr und vielfältigere Bakterien tragen als kleinere Partikel. Dies könnte sich darauf auswirken, wie Wissenschaftler das Risiko von Staubstürmen einschätzen, da derzeit kleinere Partikel als gefährlicher eingestuft werden, weil sie tiefer in die Lunge eindringen.
Es bleibt also abzuwarten, welche der gesundheitlichen Bedrohungen durch Staubstürme die Wissenschaft zukünftig an erster Stelle platzieren wird: die eigentlichen Staubpartikel, die zu Atemwegsproblemen führen, oder die Krankheitserreger unter den Bakterien, denen sie als Transportmittel dienen