Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Frau Hoss, »Phoenix« ist Ihre sechste Zusammenarbeit mit dem Regisseur Christian Petzold. Sie spielen eine KZ-Überlebende, die mit neuem Gesicht wieder nach Deutschland kommt. Wie hat Ihnen Petzold den Film vorgestellt?
Es fing ja an mit einer Novelle – »Phönix aus der Asche«. Es ging um eine Verwandlung, um ein Aufblühen aus dem Nichts. Aus der Asche, was ja gerade für die damalige Zeit ein starkes Bild ist. Nelly, meine Figur, will sich dem entgegensetzen, und aus der Zerstörung und Vernichtung wieder in ihr Leben hinein. Das ist erst einmal kraftvoll, egal mit welcher Geschichte dahinter.
Nelly trifft im zerstörten Berlin ihren Ex-Mann Johnny wieder. Der erkennt sie nach einer Gesichts-OP nicht mehr und will sie benutzen, um an das Erbe seiner vermeintlich toten Frau zu kommen.
Hier prallen zwei Erfahrungswelten aufeinander – gerade in dieser Zeit. Der Film untersucht, was da passiert. Es war ein Wagnis, aber auch ein wichtiges Wagnis.
Über lange Strecken ist Ihr Gesicht bandagiert oder geschwollen. Welche Herausforderung war das beim Spielen?
Ich hab das eher als Hilfe angesehen. Ich musste vieles nicht spielen, weil Nelly so versehrt und wund aussieht. Diese innere Versehrtheit spiegelt sich im Äußeren. Das war mir wichtig, die Maske hat mir da sehr geholfen. Und selbst wenn das Gesicht dann vermeintlich verheilt ist, haben die Zuschauer den Weg miterlebt. Es ist offensichtlich, dass das Innere nicht Schritt halten kann. Dieser Eindruck vom absoluten Ausgelöscht-Sein, der bleibt.
An einer Stelle sagt Ihre Figur: »Wie sehe ich denn jetzt aus«, und meint damit nicht nur Ihr Gesicht.
Man merkt, dass es nicht das Äußere ist, von dem sie spricht. Sie weiß nicht mehr, wer sie ist. Sie kann sich nicht mehr empfinden. Sie hat sich verloren. Das ist der Beginn, aus dem sich dann der Rest ergibt. Sie lässt viel mit sich geschehen, weil sie keinen Kern hat.
Nelly war vor dem Krieg eine Sängerin, ihr Mann Johnny Pianist. Welche Vorstellung hatten Sie von diesem Leben »davor«?
Da haben wir uns gemeinsam Gedanken gemacht, Ronnie (Anm.d.Red. Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld) und ich. Wir wollten wissen, was eigentlich verloren wurde. Unsere Vorstellung war die, dass beide sich im Rundfunk getroffen haben. Keine leuchtenden Sterne am Cabaret-Himmel. Sie waren als Duo unterwegs, zwei Musiker voller Leichtigkeit am Beginn ihres Berufslebens. Dem wird ein Keil dazwischen getrieben.
Welche Beziehung hatten die beiden zueinander?
Na ja, sie geht ja für ihn nach Deutschland zurück. Sie will ihn finden. Das ist ein großer Schritt und Liebesbeweis. Sie ist aber auch ein bisschen naiv und sieht sich die Dinge nicht genau an. So war sie vielleicht schon vorher: Nein, etwas Schlimmes wird schon nicht passieren, das glaube ich nicht.
Inwiefern hat denn die jüdische Identität für Nelly eine Rolle gespielt? Sie sagt an einer Stelle: »Ich bin ja gar keine Jüdin«.
Sie hat das Judentum nicht gelebt. Es gibt ja viele Berichte, die man lesen kann, wie ziellos und wahllos sich das angefühlt hat. Die Vorstellung, dass man für etwas abgeholt wird, das überhaupt nichts mit einem zu tun hat, weil man anscheinend etwas im Blut hat. Die Perfidie dieser ganzen Theorie kommt da ans Licht. Sie sagt: Ich kann nicht plötzlich etwas leben, das ich gar nicht bin. Dann gebe ich ja beinahe dem Druck nach. Ich gehöre aber hierher! Ich war immer hier und möchte bleiben.
Ein Schlüsselsatz des Films kommt von Johnny, der ihr sagt: »Es wird dich niemand fragen, was passiert ist«.
Sie möchte ja davon erzählen, aber sie darf nicht sprechen, weil keiner sie fragt. Dadurch kommt sie in diesen halbverrückten Zustand: Habe ich das überhaupt erlebt? Weil das so grausam und außerhalb jeder Vorstellungskraft ist, dass du an dir selbst zweifelst und an der geistigen Gesundheit. Das ist die nächste Verurteilung, dass du nicht darüber reden konntest.
Welche Bedeutung hat Musik dabei?
Ich glaube, Primo Levi hat darüber geschrieben, dass er immer singen musste, im Lager. Oder Wladyslaw Szpilman, der mental immer die Partituren durchgegangen ist. Das hat sie am Leben gehalten, weil sie sich über diese Kultur ihres Menschseins versichern konnten. Ich habe mir immer gedacht: Sie hat gesungen, im Lager. Das trägt sie. Reflektiert hat sie nicht. Nur am Ende beginnt sie, dies zu tun. Denn da muss sie sich entscheiden: ob für das Leben und wenn ja welches. Dafür muss sie ihre Stimme finden. Und dann geht es eigentlich erst los.
Wie war denn die Arbeit mit den anderen Schauspielern? Viele Szenen des Films sind fast Kammerspiel-artig.
Ich hatte das Glück, mit so fantastischen Kollegen zu arbeiten. Da passiert unglaublich viel. Es hat uns geholfen, in dieser Druckkammer zu sein. Da kommen zwei sehr versehrte Menschen zusammen, Johnny und Nelly. Sie wollen nicht dasselbe, sondern reden permanent aneinander vorbei. Dazu braucht es diesen kleinen Raum. Für mich war das großartig. Dieser Druck, dieses Land, das Erlebte – das lastet ja auch auf Nelly. Und dann will dieser Mann auch noch, dass man etwas verkörpern soll, obwohl man nur aufgefangen werden will.
Sie spielen oft historische Rollen: »Anonyma«, Rosemarie Nitribitt, zuletzt die Hauptrolle im DDR-Drama »Barbara«, das auch von Christian Petzold gedreht wurde. Denken Sie sich da zeitlich zurück?
Ich denke darüber nach, mit welchen Prinzipien man in diesen jeweiligen Zeiten aufgewachsen ist. Ich untersuche schon immer, in welchem Zeitraum diese Menschen gelebt haben. Bei »Phoenix« hatte das viel mit einer Haltung zu tun: Über Gefühle wird nicht viel geredet, es gab keine Selbstfindung. Es wird einfach durchgestanden. Preußische Disziplin. Das steckt in den Figuren drin. Aber ich will sie trotzdem modern interpretieren, so wie ich einen Klassiker im Theater angehe: Was hat das mit uns heute zu tun? Sonst kann man es auch sein lassen.
Mit der Schauspielerin sprach Fabian Wolff.
»Phoenix« läuft ab 25. September in den Kinos.