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Zeugen sterben, Dinge erinnern

Die Zeitzeuginnen Hilde Simcha (r.) und Regina Steinitz kommen in dem Radiofeature zu Wort. Foto: Maria Ossowski

Dieses Format ist in der Radiolandschaft einzigartig: ein Thema, drei Stunden, vertieft beleuchtet von allen Seiten und ohne Musikgeklingel unterbrochen. Der Deutschlandfunk leistet es sich jedes Wochenende.

Die »Lange Nacht« wird an diesem Wochenende aus Auschwitz berichten, Zeitzeugen in Israel besuchen und junge Juden befragen, wie sie sich erinnern wollen und wie wir uns als Gesellschaft erinnern sollten an die Schoa.

ZEUGNIS Die Nationalsozialisten haben nicht nur einen Großteil der Juden Europas physisch vernichtet, sie wollten auch jede Erinnerung an ihre Opfer auslöschen, kein Zeugnis sollte bleiben: keine Namen, keine Orte, keine Instrumente, keine Kleider, keine Schuhe, keine Schriften, keine Koffer, keine Zeichnungen ... Es ist ihnen nicht gelungen.

Leder zerbröckelt, Haare lösen sich auf, Papier verblasst ohne professionellen Erhalt.

Tausende letzte Habseligkeiten der Ermordeten ließen sie im größten Vernichtungslager zurück. Diese mittlerweile ein dreiviertel Jahrhundert im Museum und in Depots lagernden Gegenstände sind, wenn die Zeitzeugen irgendwann schweigen, jene Dinge, die das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte bezeugen sollen.

Junge Konservatorinnen und Konservatoren arbeiten in modernen Werkstätten auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers daran, alles zu bewahren, was sonst längst zerfallen wäre. Leder zerbröckelt, Haare lösen sich auf, Papier verblasst ohne professionellen Erhalt.

werkstätten Die Autorin des Radiobeitrags hat diese Werkstätten besucht und die Mitarbeiter gefragt, wie authentisch konservierte Gegenstände noch erzählen können, wem sie gehörten und wer sie mitgenommen hat auf die letzte Reise.

Zwei Konservatorinnen aus Deutschland erzählen, wie sie Briefe schützen, Schuhe bearbeiten, Kämme oder Zahnbürsten retten, Kleider zusammenhalten, Prothesen aufarbeiten und sogar Zyklon-B-Dosen von Rost befreien. Mit modernsten konservatorischen Mitteln gelingt es ihnen, Gegenstände, die längst zerfallen wären, als Erinnerung zu bewahren.

Sie berichten auch, wie wichtig ihnen diese Arbeit ist, trotz der seelischen Anstrengungen, die sie mit sich bringt. Die Autorin hat die letzten hochbetagten Zeitzeugen in Israel befragt nach ihren Erinnerungen.

ZEITZEUGEN Batsheva Dagan hat als Auschwitz-Häftling die letzten Habseligkeiten der Opfer sortiert und verpackt, sie wurden nach Deutschland geschickt.

Der Maler Yehuda Bacon hat als Junge in Auschwitz heimlich gezeichnet, nach der Befreiung auch aus der Erinnerung und sehr präzise. Seine Zeichnungen dienten als Grundlage für einige Prozesse gegen die Täter.

Zwi Steinitz hat bis zu seinem Tode im August 2019 jeden Tag Gedichte geschrieben über Auschwitz, er hatte seine gesamte Familie in der Schoa verloren und konnte erst spät über das Grauen sprechen.

Die ehemalige Geigerin Hilde Simcha, in Berlin als Hilde Grünbaum geboren, erzählt vom Mädchenorchester, für das sie Noten transkribierte. Sie durfte als Orchestermitglied ihre Haare behalten und hat sich in Auschwitz Lockenwickler geschnitzt, um frisiert ein wenig menschlicher auszusehen.

Die Lockenwickler, ein Samtkästchen für Schabbatfeiern, ein Buch mit Rilke-Gedichten und Goethes Faust, der sie durch Auschwitz begleitet hat, vermachte sie schließlich der Gedenkstätte Yad Vashem. Sie konnte sich nur schwer von den Erinnerungen trennen.

In der »Langen Nacht« werden zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz auch die großen Dichter gelesen

KIPPA In dem Feature werden auch junge Juden in Deutschland gefragt, wie sie sich ein Erinnern an die Schoa vorstellen könnten. Mirna Funk will das Objekthafte im Gedenken ändern, die Schulen müssten KZ-Besuche viel intensiver vorbereiten, und Antisemitismusbeauftragte sollten jüdischen Glaubens sein.

Mike Delberg erklärt, warum er Kippa trägt und gern in Deutschland lebt. Die Schülerin Antonia aus dem Jüdischen Gymnasium erzählt von ihrem Auschwitz-Besuch, der sie nicht nur seelisch, sondern auch körperlich mitgenommen hat.

In der »Langen Nacht« werden zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz auch die großen Dichter gelesen, die jene »siebenmal verriegelte Nacht« (Elie Wiesel) überlebt haben: Ruth Klüger, Elie Wiesel, Imre Kertèsz und Primo Levi.  ja

»Zeugen sterben, Dinge erinnern. Eine Lange Nacht über die Habseligkeiten von Auschwitz«. Von Maria Ossowski. Regie: Thomas Wolfertz.
Sendetermine: Deutschlandfunk, 25. Januar, 23.05 Uhr; Deutschlandfunk Kultur, 26. Januar, 0.05 Uhr

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