Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat erneut die abermaligen Funde antisemitischer Darstellungen bei der documenta und den Umgang der Verantwortlichen damit massiv kritisiert. Diese machten fassungslos, teilte der Zentralrat am Donnerstag mit.
Zentralratspräsident Josef Schuster sagte: »Seit Wochen diskutiert dieses Land über Antisemitismus, BDS und Israelhass. Die Leitung der documenta tut weiter so, als ginge sie das nichts an. Offensichtlich ist es unerheblich, wer dort die Geschäftsführung innehat. Man muss sich fragen, wie weit wir in Deutschland sind, wenn diese Bilder als vermeintliche ›Israelkritik‹ für gut befunden werden können.«
REAKTIONEN Unterdessen forderten die Gesellschafter der documenta in Kassel - die Stadt Kassel und das Land Hessen -, die Zeichnungen »bis zu einer angemessenen Kontextualisierung« aus der Ausstellung zu nehmen.
»Der Umgang mit den Zeichnungen zeigt, wie dringend notwendig die externe Expertise bei der Analyse von Werken auf antisemitische (Bild-)Sprache ist«, teilten die Gesellschafter über die documenta und Museum Fridericianum gGmbH am Donnerstag mit.
Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sprach sich für eine zumindest zeitweilige Entfernung der Kunstwerke von der documenta aus. Es sei »gut und richtig, dass die Gesellschafter der documenta die künstlerische Leitung jetzt aufgefordert haben, diese Zeichnungen aus der Ausstellung zu nehmen«, sagte Roth am Donnerstag in Berlin.
RIAS HESSEN Nach Angaben der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen (RIAS Hessen) hatte eine Besucherin der Weltkunstschau entsprechende Darstellungen im Museum Fridericianum bemerkt und RIAS Hessen gemeldet. Die Zeichnungen in einer Broschüre aus dem Jahr 1988 beinhalten laut RIAS Hessen und Zentralrat der Juden eine klar antisemitische Bildsprache. Israelische Soldaten werden als Kinder- und Massenmörder dargestellt.
Die Physiognomie der Soldaten, so der Zentralrat, entspringe der typisch judenfeindlichen Darstellungsweise. Zu sehen sei auch die palästinensische Figur Handala, die als Allegorie des gewaltsamen »Widerstands« gegen Israel gilt und von der BDS-Bewegung als Logo benutzt wird.
Zentralratspräsident Schuster kritisierte: »Diese documenta wird als antisemitische Kunstschau in die Geschichte eingehen. Selbst die Worte des Bundespräsidenten bei der Eröffnung haben offensichtlich zu keiner Einsicht geführt. Dass diese documenta wirklich bis zum 25. September laufen kann, erscheint kaum mehr vorstellbar.«
Bereits zu Beginn der Kunstausstellung musste ein Werk des indonesischen Kollektivs Taring Padi mit antisemitischen Darstellungen abgehängt werden. In dieser Woche wurden dann die weiteren Werke bekannt, die für scharfe Kritik sorgten.
Die Gesellschafter hätten von den kritisierten Darstellungen erstmals am Dienstagabend über die sozialen Netzwerke erfahren, teilte die documenta in Kassel mit. «Der documenta-Leitung war dies bereits vor drei Wochen bekannt, nachdem eine Besucherin auf die Zeichnungen aufmerksam gemacht hat», hieß es in der Mitteilung.
»Dass diese documenta wirklich bis zum 25. September laufen kann, erscheint kaum mehr vorstellbar.«
Zentralratspräsident Josef Schuster
Die umgehende rechtliche Bewertung der Zeichnungen durch Externe sei ein richtiger Schritt gewesen. «Die Frage, ob hier antisemitische Bildsprache vorliegt, wurde leider lediglich intern bewertet. Es wurde versäumt, eine geeignete Kontextualisierung vorzunehmen und die Besucherin über das Ergebnis der Klärung zu informieren», monierten Stadt und Land.
KONTEXTUALISIERUNG Es handele sich bei den Zeichnungen nicht um ein ausgestelltes Kunstwerk, sondern um Archivmaterial, das auf der documenta fifteen präsentiert werde. «Aber auch hier ist angesichts der antisemitischen Bildsprache verantwortungsvolles Kuratieren wichtig und es braucht zumindest eine geeignete Kontextualisierung.»
Die documenta selbst hatte die Vorwürfe am Mittwoch zurückgewiesen. Das historische Archivmaterial sei vor rund drei Wochen vorübergehend aus der Ausstellung genommen worden, um es eingehender zu betrachten. »Nach der Untersuchung gibt es zwar eine klare Bezugnahme auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, aber keine Bebilderung von Juden ›als solchen‹«, hieß es in einer Stellungnahme. Das Werk sei als strafrechtlich nicht relevant eingestuft worden.
Alexander Farenholtz, der nach dem Rücktritt der Generaldirektorin Sabine Schormann übergangsweise die Geschäfte der documenta gGmbH führt, sah die Weltkunstausstellung noch am vergangenen Freitag auf einem guten Weg. «Ich zweifle keine Sekunde daran, dass die Schau bis zum Ende ihrer Laufzeit fortgesetzt wird», sagte der Kulturmanager am Freitag in Kassel. Allein der Besuchererfolg zeige, dass ein Abbruch keine Option sei. «Die Zahlen sind sehr gut, die Stimmung auch. Ich glaube, dass die documenta als Ausstellung auf einem hervorragenden Kurs ist», betonte Farenholtz.
expertise Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagte am Donnerstag: »Der Umgang mit diesen Zeichnungen vor dem Amtsantritt von Herrn Farenholtz zeigt erneut, wie wichtig und notwendig ein externes Gremium von Expertinnen und Experten ist, das eine Analyse und Einordnung der auf der documenta gezeigten Werke in Bezug auf mögliche antisemitische Bildsprachen vornimmt. Diese Expertise sollte dann von den Verantwortlichen der documenta auch sehr ernst genommen werden.«
Unterdessen forderte der Jüdische Verein Werteinitiative den Rücktritt des neuen documenta-Chefs. »Alexander Farenholtz hatte die Möglichkeit, als Interimschef der documenta einen Neustart zu schaffen, indem er dem virulenten Judenhass auf der Kunstschau endlich ein Ende setzt. Fahrenholtz macht jedoch das genaue Gegenteil: Er relativiert offensichtlich antisemitische Stereotype und verklärt diese als unproblematisch. Damit ist in kürzester Zeit auch er als Generaldirektor der documenta gescheitert und nicht mehr tragbar«, sagte Elio Adler, Vorsitzender der Werteinitiative, am Donnerstag.
Das American Jewish Committee (AJC) Berlin forderte, die documenta fifteen müsse »vorzeitig beendet werden«. AJC-Berlin-Direktor Remko Leemhuis sagte am Donnerstag: »Angesichts dieser jüngsten Entwicklungen und vor dem Hintergrund, dass die Verantwortlichen offensichtlich immer noch nicht begriffen haben, welchen Schaden die documenta angerichtet hat, kann es kein ›Weiter so‹ geben.« Ebenso erwarte man »endlich eine ernsthafte Entschuldigung der Verantwortlichen bei der jüdischen Community«. ja/dpa/kna