Debatte

Zensur des Zensors

Anhänger der BDS-Kampagne protestieren mit einer Kundgebung vor dem Bundestag (Mai 2019). Foto: imago images/snapshot

In einem Meinungskommentar des »Guardian« beschwerte sich der englische Komponist Brian Eno 2021, er sei jetzt wie viele andere Künstler von »Tabuisierung und Ausschluss« betroffen – wegen einer Resolution des deutschen Parlaments von 2019, die die Bewegung »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) als antisemitisch bezeichnete.

Zudem hatte der Bundestag eine Empfehlung an Städte und Länder ausgesprochen, »aktiven Unterstützern« der BDS, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, öffentliche Gelder zu verweigern.

MEINUNGSFREIHEIT Im Jahr darauf verfassten 32 künstlerische Institutionen in Deutschland einen offenen Brief, in dem sie einerseits die BDS-Bewegung zwar ablehnten, andererseits aber in der Logik eines Gegenboykotts ausgelöst durch den Bundestag eine Gefahr für die Meinungsfreiheit sehen wollten.

In all diesen Boykotten und Gegen-Boykotten gehen die grundlegenden Fakten verloren.

In all diesen Boykotten und Gegen-Boykotten gehen die grundlegenden Fakten der Diskussion verloren.

Künstler, die den kulturellen Boykott Israels unterstützen, verfechten die Zensur anderer Künstler. Sie versuchen, internationale Künstler davon abzuhalten, in Israel aufzutreten, und internationale Spielstätten zu erpressen, israelische Künstler nicht einzuladen. BDS-Befürworter attackieren Künstler, die ihre Ideologie nicht teilen, und versuchen sie in die Unterwerfung zu zwingen, indem sie ihre Karriere und Reputation angreifen. Wie totalitäre Regime bedienen sie sich dabei Einschüchterungstaktiken und versuchen, einen Keil zwischen Künstler und Publikum zu treiben.

UNTERSTÜTZUNG BDS-Befürworter haben längst klargemacht, dass sie zum Boykott eines jeden israelischen Künstlers drängen, der auch nur die geringste Unterstützung seitens der israelischen Regierung erhält. Sie stellen sich taub gegenüber den Argumenten israelischer Künstler, dass sie, wie Künstler in vielen anderen Ländern auch, zum Überleben ebenfalls auf Gelder israelischer Institutionen angewiesen sind. BDS-Sympathisanten ignorieren die Verletzung der Freiheit des künstlerischen Ausdrucks.

Jetzt mögen es einige Künstler, die ihre Brüder durch den Schmutz gezogen haben, weil sie in ihrem jüdischen Heimatland auftraten oder Spielstätten verunglimpften, weil sie jüdisch-israelische Künstler auftreten ließen, plötzlich überhaupt nicht, wie sich der Schuh am anderen Fuß anfühlt. Diese Heuchelei ist schwindelerregend.

BDS dämonisiert Israel und stachelt weltweit zum Judenhass an.

Die moralischen Zweideutigkeiten zwischen Boykott-Kampagne gegen Israel und der Anti-Boykott-Resolution sind ein Vorwand. Die parlamentarische Resolution versucht klarzustellen, dass die deutsche Regierung keine Bewegung umarmen möchte, die den israelischen Staat eliminieren will – ein Land und Volk, zu dem sie in großer Schuld steht.

Während Deutschland den Fokus auf die gefährliche Wirkung der persönlichen politischen Interessenvertretung der Künstler legt, ist BDS daran interessiert, welchen Pass man hat. Ersteres ist öffentliche Politik, Letzteres Diskriminierung. Künstler sind für ihr Handeln verantwortlich und ganz klar nicht für die Handlungen ihrer Regierung, die sie in einigen Fällen sogar vehement kritisieren.

ZENSUR Wichtige deutsche Kunsteinrichtungen und andere scheinen zu argumentieren, dass das Zensieren des Zensierenden Zensur sei – eine Idee, die direkt aus George Orwells Roman 1984 stammen könnte. Wenn diese Institutionen wirklich an Meinungsfreiheit interessiert wären, und ich glaube, sie sind es, bin ich tief besorgt darüber, dass sie so konfliktfrei sind, Künstlern, die sich für die Zensur anderer Künstler einsetzen, eine Plattform zu bieten.

Deutschland kann seine Vergangenheit nicht ändern; es kann nur seine Zukunft bestimmen.

Ein Artikel der »New York Times« aus dem Jahr 2020 bemerkt, die Resolution habe eine öffentliche Debatte losgetreten, »die das Verhältnis von Kolonialismus und Genozid zum Holocaust und Deutschlands besondere Beziehung zu Israel in einem infrage stellt«. Ich bin angewidert von jeglichem Vergleich zwischen dem Dilemma der Palästinenser und den Opfern des Holocaust. Der Vergleich an sich ist schon eine Holocaust-Relativierung.

BDS dämonisiert Israel und stachelt weltweit zum Judenhass an. Deutschland kann seine Vergangenheit nicht ändern; es kann nur seine Zukunft bestimmen. Es hat alles Recht und meiner Meinung nach die moralische Verpflichtung, dass die Verfolgung von Juden auf seinem Boden nie wieder stattfinden kann.

Die Autorin ist CEO von Liberate Art Inc. 2022 erschien ihr Buch »Artists Under Fire. The BDS War against Celebrities, Jews and Israel«.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025