Sprachgeschichte(n)

Zeitgeist, Bagel und Knishes

Bagel mit Cream Cheese und Lox Foto: Getty Images

Sprachgeschichte(n)

Zeitgeist, Bagel und Knishes

Über Germanismen und Jiddismen in Amerikas Kultur und Küche

von Christoph Gutknecht  11.05.2022 10:30 Uhr

Die Rundfunkabteilung des Senders Bayern 3 konstatiert auf ihrer Webseite: »Wir haben eine wunderschöne Sprache. So schön, dass sich auch Briten und Amerikaner daraus bedienen und sich coole Wörter entleihen.«

Zu ihnen zählen Zeitgeist, Kitsch, to abseil, Wunderkind, Gesundheit, to yodel, Eiertanz (2011 von amerikanischen Redakteuren als Ausdruck für die zögerliche Haltung Deutschlands in der Eurokrise benutzt), kaputt, Schnapps (mit zwei »p« geschrieben!) und to abreact (das in der Psychologen-Fachsprache benutzt wird).

WÖRTERBÜCHER Zu den aus dem Jiddischen entlehnten Wörtern, die amerikanische Wörterbücher aufführen, gehört neben bagel (»Brötchen«), lox (»Lachs«), shlemiel (»Dummkopf«) auch shlep. Als Verb bedeutet es: »sich dahinschleppen, bummeln«; als Substantiv begegnet es uns seit dem frühen 20. Jahrhundert als »Langweiler«.

Die »Augsburger Allgemeine« zitierte schon 2014 sechs jiddische Wörter aus dem New Yorker Alltag (Mishmosh, drek, shnaps, shnoz, shtik und shtup für Chaos, Schmutz, Schnaps, Nase, Stück und Schubser) und verwies auf die auch bei uns populäre Serie The Big Bang Theory, in der die (jüdische) Mutter, als sie mit dem PC nichts anfangen kann, flucht: »I can’t turn on that verkackte computer.«

Der Komiker Mickey Katz (1909–1985), einer der bedeutendsten Klezmer-Musiker der USA, hat die Sprache assimilierter Juden persifliert, die sich noch heute zu ihrer Herkunft besonders in Ferienorten wie Miami Beach, Las Vegas, Arizona und den Catskill Mountains bekennen. Es war die spezielle »Yinglish Music of Mickey Katz«, auf die das YIVO Institute of Jewish Research in seiner »Yiddish Civilization Lecture Series« (2020) hingewiesen hat.

Der amerikanische Soziologe Herbert J. Gans hatte schon 1953 im »American Quarterly« erläutert, dass die von Katz bevorzugten Wörter um jüdisch-kulinarische Köstlichkeiten rankten, und stellte die Frage: Ist eine ethnische Küche stets das letzte Charakteristikum, das von einer assimilierten Kultur übrig bleibt?

LOWER EAST SIDE Selbst die »Welt am Sonntag« berichtete schon 1994 aus New York, es könne sich kein echter New Yorker den Sonntagmorgen und die Lektüre der pfundschweren Sonntags-Times ohne einen Bagel mit Cream Cheese und Lox (= mariniertem Räucherlachs) vorstellen, einem Gericht, das man im Rest Amerikas nur vom Hörensagen kenne: »Die Lower East Side, das einstmalige Zentrum des jüdischen Lebens von New York, ist Heimat zahlreicher sogenannter ›Delicatessen‹, die Besucher in eine Zeit katapultieren, in der der Name McDonald noch für einen schottischen Einwanderer stand und für sonst nichts.«

Eine wahre Institution in der New Yorker Gastro-Szene ist seit 1888 das Katz’s Deli(catessen) Restaurant an der East Houston Street in Manhattan – nicht nur, weil hier auch eine weltberühmte Szene aus der Liebeskomödie When Harry met Sally des Regisseurs Rob Reiner aus dem Jahr 1989 mit Billy Crystal und Meg Ryan in den Hauptrollen gedreht wurde.

SCHMELZTIEGEL Die Internetseite »feedmeupbeforeyougogo« beschreibt ein jüdisches Gebäck, das idealtypisch für New Yorks Geschichte als kulinarischer Schmelztiegel steht: Knishes (das K wird übrigens mitgesprochen):

»Klassischerweise werden Knishes mit Kartoffelstampf, Zwiebeln und Sauerkraut gefüllt (…). Sie haben ihren Ursprung in der jüdischen Küche Mittel- und Osteuropas, kommen also aus der gleichen Gegend wie die polnischen Teigtaschen, werden (…) aber im Ofen gebacken. Mit den jüdischen Einwanderern sind sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts in die USA gelangt und haben sich insbesondere in New York als Streetfood der ersten Stunde etabliert. Auch wenn Knishes neben Hot Dogs, Pizza und Co. eher ein Schattendasein fristen und das Aussterben der jüdischen Spezialität befürchtet wird, prägen bis heute einige Knisheries das Stadtbild New Yorks.«

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025