Eigentlich sieht man beim Blick in den Spiegel ja sich selbst. Dieser Spiegel hier aber zeigt viel mehr: Er öffnet dem Betrachter den Raum ringsherum, inklusive der Empore über ihm. Dabei ist deren Zweck ja gerade das Verstecken.
Spiegel und Empore befinden sich im Gebetssaal der ehemaligen Synagoge im Augsburger Stadtteil Kriegshaber. An diesem Ort zeigt das Jüdische Museum Augsburg Schwaben seit Neuestem die Ausstellung »Die unsichtbare Frau«.
Collagen Sie läuft bis zum 13. September in Kooperation mit der Regionalgruppe Schwaben-Nord und Augsburg des Bundesverbandes der Bildenden Künstlerinnen und Künstler Deutschlands (BBK). Die Schau befasst sich künstlerisch mit der Präsenz und Absenz des Weiblichen in der Synagoge. Zu sehen sind neun Arbeiten, darunter Collagen, Installationen, Malerei, ein Papierschnittwerk und ein Betonguss.
Zum Hintergrund der Ausstellung erklärt die Kuratorin Souzana Hazan: »Ob in einem separierten Raum oder auf der Frauenempore - Jüdinnen in der Synagoge waren lange und sind teilweise noch immer unsichtbar für die betende männliche Gemeinde.« Die Begründung liege in der Tora. Darin stehe, jüdische Männer sollten beim Beten nicht »das Geschlecht«, also Frauen, betrachten, um nicht abgelenkt zu werden.
In der jüdischen Diaspora im deutschsprachigen Raum sei das Verstecken von Weiblichkeit in der Synagoge erst im Mittelalter aufgekommen, im Zuge gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen dahin, dass Frauen zur Häuslichkeit gedrängt worden seien. »Beispielsweise mussten auch Hebammen damals Teile ihrer Arbeit Ärzten – also Männern – überlassen«, sagt Hazan. Der Grund? »War wohl wirtschaftlicher Natur. Nahm man Frauen die Arbeitsmöglichkeit, gab’s weniger Konkurrenz.«
Geschlechter Mitte des 19. Jahrhunderts schafften liberale Gemeinden dann die Trennung der Geschlechter in der Synagoge ab, wie Hazan hinzufügt. Sie machten die Frauen demnach gar zu Rabbinerinnen, also Lehrerinnen der Religion. »Das konservative Judentum folgte dieser Entwicklung später, im orthodoxen Judentum hingegen wird die Trennung teils noch immer beibehalten.«
Dort also wäre ein Spiegel wie der in der einstigen Synagoge von Kriegshaber wohl undenkbar. Er hängt in der Öffnung für den Thora-Schrein. Säßen davor nun Männer und würden darauf blicken, sie sähen, was sie nicht sehen sollten: die Empore hinter ihnen. »Diese Empore ist übrigens fortschrittlich«, sagt Hazan. »Sie hat nicht wie andere Orte noch extra Sichtschutzgitter.«
Auch sei in Kriegshaber irgendwann der Aufgang zur Empore abgebrochen worden, Männer und Frauen seien sich dann im Treppenhaus begegnet. »In anderen Synagogen hingegen wurden Frauen derweil in Anbauten versteckt, die nur über kleine Hörschlitze in der Wand mit dem Gebetsraum verbunden waren.«
Zum Spiegel ergänzt Hazan: »Er soll einem über den konkreten Bezug zur Frauen-Frage hinaus auch vor Augen halten, dass es nicht immer nur die Aufgabe von Benachteiligten selbst sein darf, ihre Rechte einzufordern. Dass das die Gesellschaft insgesamt tun muss.«
Empore Auf etwas anderes weist eine Installation hin, die offiziell zwar keinen Titel trägt, aber dafür den Zusatz »(Raschis Töchter)«. Es handelt sich um drei überlebensgroße Kleider, die im Gebetsraum von der Decke hängen und so Frauenempore und Männerbereich gewissermaßen wie tragende Säulen miteinander verbinden.
»Raschi war nach jüdischer Überlieferung ein bedeutender mittelalterlicher Kommentator des Talmud, der keine Söhne, aber drei Töchter hatte«, so Hazan. Trotz der Geschlechtertrennung hätten diese Töchter später wie Gelehrte das Religionswissen ihres Vaters weitergegeben. »Das Kunstwerk verweist somit darauf, dass nichts nur schwarz-weiß ist.«
Während der Spiegel und die Kleider prominent im Gebetssaal prangen, finden sich die anderen Exponate verteilt über das Haus an diversen Wänden. Und ein Betonguss steht in einer Mauernische im Treppenhaus. Man muss schon konzentriert sein, um die Plastik nicht zu übersehen – die filigrane Ausarbeitung eines Frauengesichts belohnt die Aufmerksamkeit dafür sehr. Gerade Verstecktes verdient eben Beachtung.