Er konnte nicht kommen. Und war doch präsent. Saul Friedländer sprach am Sonntag aus Los Angeles per Video-Interview zu dem handverlesenen Publikum im Frankfurter Schauspiel, um sich für den erstmals vergebenen und mit 10.000 Euro dotierten »Ludwig-Landmann-Preis für Mut und Haltung« zu bedanken. Friedländers Tochter Michal, die in Berlin lebt, nahm für ihren 88 Jahre alten Vater die Urkunde entgegen und grüßte ihn mit einem »Überraschungsständchen« am Flügel.
Ihr überreichte Andreas von Schoeler, Vorsitzender der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums Frankfurt, eine Miniaturnachbildung der Skulptur »Untitled«, die vor dem Neubau des Museums steht: Zwei Bäume – einer verwurzelt, einer entwurzelt – krallen ihre Kronen unauflöslich ineinander.
perspektiven In seiner Begrüßungsansprache hob von Schoeler die drei Perspektiven in Friedländers Werk hervor: »Täter, Opfer, Bystanders.« Mit dem Preis, der Friedländer für sein Lebenswerk als Historiker und Zeitzeuge auszeichnet, wolle das Jüdische Museum »die Kräfte in unserer Gesellschaft stärken, die gegen Judenhass stehen«.
»Unser Land, Deutschland, steht tief in Ihrer Schuld«, sprach Ex-Außenminister Joschka Fischer in seiner Laudatio den Preisträger, dessen Eltern als Flüchtlinge an der Schweizer Grenze zurückgewiesen und in Auschwitz ermordet worden waren, direkt an. »Als der Krieg kam, wartete ich auf meine Eltern, aber sie kamen nicht zurück«, zitierte Fischer aus Friedländers Hauptwerk Das Dritte Reich und die Juden.
Saul Friedländer nannte Deutschland in seiner Dankesrede noch immer »ein Bollwerk gegen den Antisemitismus«. Das Aufkommen von Antisemitismus und Verschwörungstheorien in Amerika empfinde er allerdings als »bedrückend«. Die Demokratie müsse auch verteidigt, nicht nur erklärt werden. Insgesamt gab sich der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels eher skeptisch: »Wenn eine rechte politische Lage in Deutschland kommt, wird die Scham-Politik wegfallen.«
persönlichkeiten Der Landmann-Preis wurde anlässlich der Wiedereröffnung des Jüdischen Museums gestiftet und soll künftig alle zwei Jahre an Persönlichkeiten vergeben werden, die sich für die Vermittlung jüdischer Geschichte und Kultur sowie gegen Antisemitismus einsetzen. Die Würdigung erinnert an den letzten demokratisch gewählten Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann (1924–1933), der 1933 seines Amtes enthoben und entrechtet wurde, weil er Jude war.
»Die Stadt ist ihm zu Dank verpflichtet«, sagte sein Nachfolger, der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann. Landmann habe ein »Zeichen des Wachseins« gesetzt, das bis heute gesehen wird – und aufgrund der politischen Situation leider auch unbedingt gesehen werden muss.