Dicht gedrängt stehen die Betonquader, reihen sich zu Hunderten aneinander, teils meterhoch. Nach jeder der Stelen verlangsamt sich unwillkürlich der Schritt: Nie ist klar, was dahinter lauert, womit man zusammenstoßen könnte. Immer höher wachsen sie in den Himmel, zugleich fällt der Boden ab, der Schritt wird schwankend. Erst trappelnde Schritte und gellendes Kindergeschrei reißen den Besucher aus den Gedanken, aus dem Gedenken.
»Über das Verhalten der Besucher im Stelenfeld könnte man lange diskutieren«, sagt Uwe Neumärker. Er ist Direktor der Stiftung, die das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und seine 2710 Stelen auf rund 19.000 Quadratmetern Fläche nahe dem Brandenburger Tor betreut. Mit Blick auf all die Unkenrufe vor dem Bau und der Eröffnung zieht er heute jedoch eine »durchweg positive« Bilanz.
Schmierereien Tatsächlich hatten sich die Debatten über Jahre hingezogen. Von drohenden Nazi-Aufmärschen am Mahnmal war die Rede gewesen, von antisemitischen Schmierereien. Die gab es auch, aber rechtsextrem motivierte Angriffe auf das Denkmal blieben Einzelfälle. Andere kritisierten eine drohende »Hierarchisierung der Opfergruppen« und meinten, das Mahnmal bevorzuge die jüdischen Opfer des NS-Terrors. Heute haben längst auch Sinti, Roma und Homosexuelle ihre eigenen Gedenkorte in Berlin.
Eine Hängepartie war auch die politische Debatte um das Mahnmal. Erst über ein Jahrzehnt nach der ersten Idee 1988 entschied sich der Bundestag für das Stelenfeld - nicht ohne zu fordern, den Entwurf des New Yorker Architekten Peter Eisenman zu ändern und um einen unterirdischen »Ort der Information« zu ergänzen. Bis der Bau begann, vergingen noch einmal fast vier Jahre. Die Eröffnung folgte am 10. Mai 2005.
Begegnung Heute erstaune ihn besonders, mit welcher Selbstverständlichkeit die Bevölkerung das Denkmal annehme, sagt Neumärker. »Das Stelenfeld ist ein fester Programmpunkt eines jeden Berlin-Besuchers«, sagt er. Es sei ein Anziehungspunkt, ein Ort der Begegnung, die Ausstellung im Untergrund eine der meistbesuchten der Stadt. »Was will man mehr?«, fragt der Stiftungsdirektor.
Die Fakten bestätigen das. Jedes Jahr kommen fast 500.000 Menschen in den »Ort der Information«. In mehreren Themenräumen sind dort Details zu Völkermord und Einzelschicksalen aufbereitet. Insgesamt kämen noch weit mehr Besucher, sagt Neumärker, nur würden sie im jederzeit frei zugänglichen Stelenfeld gar nicht gezählt.
»Wir haben nicht damit gerechnet, dass das Denkmal so gut angenommen wird«, sagt auch Mitinitiatorin Lea Rosh. Die heute 78-jährige Publizistin hatte den Stein 1988 ins Rollen gebracht, als sie einen Vorschlag des Historikers Eberhard Jäckel für ein zentrales Holocaust-Mahnmal in die Öffentlichkeit trug. Heute habe sich alle Kritik erübrigt, ihre Bilanz sei deshalb »mehr als positiv«. »Das Denkmal ist eines der wichtigsten Touristenziele Berlins«, sagt Rosh.
Charakter Bei den Touristen selbst ist das Echo geteilt. »Das Denkmal spricht nicht zu mir«, sagt ein Besucher aus der Schweiz. Die Infos im Untergrund seien aber super. Eine Französin lobt den offenen Charakter des Denkmals, der die Möglichkeit biete, »dass hier jeder finden kann, was er möchte«. Ein Spanier findet das Stelenfeld »nicht so schön« und wundert sich über die Deutschen, die so viel Geld ausgeben, um einer so traurigen Sache zu gedenken. Zudem erinnere ihn das Denkmal an einen Friedhof. Alle Befragten jedoch sind beeindruckt von Wucht und Dimension der Quader.
Dass Verwirrung und Kontroverse durchaus gewollt sind, zeigt ein Statement von Architekt Eisenman zu seinem Entwurf. Darin heißt es, das Denkmal solle verdeutlichen, »dass ein vorgeblich rationales und geordnetes System den Bezug zur menschlichen Vernunft verliert, wenn es zu groß wird und über seine ursprünglich intendierten Proportionen hinauswächst«.
Derzeit geben zudem Baumängel Anlass zum Ärger: 44 Stelen sind von langen Rissen durchzogen und wurden vorsichtshalber mit Stahlbändern ummantelt. Über die Ursache der Risse streiten Stiftung und Baufirma derzeit noch vor Gericht. Einen Zeitplan für die Sanierung gibt es noch nicht. Zehn Stelen sollen demnächst aber probeweise saniert werden, gab Neumärker jetzt kurz vor dem zehnten Jahrestag bekannt.
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