Die Recherchereise ist so etwas wie das Kreuzfahrtschiff des Journalismus: Sie führt Reporterinnen und Reporter von einem Ort des Geschehens zu dem nächsten. Wirft Blicke auf ganz unterschiedliche Ereignisse oder Regionen und bietet doch ein verlässliches Gefäß, auf das immer wieder zurückgegriffen werden kann.
Doch wie bei realen Kreuzfahrten hängt der Erkenntnisgewinn über Land und Leute stark davon ab, ob man - im übertragenen Sinne - die ganze Zeit gemütlich in der vollklimatisierten Kabine an Bord bleibt. Oder an den Landausflügen teilnimmt und sich dabei wirklich der vorgefundenen Situation öffnet.
Aktuell sind längst nicht mehr nur die öffentlich-rechtlichen Sender in Land unterwegs, um herauszufinden, wie Deutschland gerade tickt. Für das ZDF fragt Eva Schulz »Deutschland, warum bist du so?« (in der Mediathek abrufbar), bleibt damit aber einzig und allein im Osten und dort auch noch stecken. Für die ARD ist am Montag zur besten Sendezeit kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Jessy Wellmer in ihrer ostdeutschen Heimat unterwegs und fragt »Machen wir uns die Demokratie kaputt?«.
Erst nach den Wahlen in Thüringen und Sachsen, am 12. September, startet bei Sat.1 »Bild«- Vizechefredakteur Paul Ronzheimer mit seiner Reihe »Wie geht’s Deutschland«, bei der der eigentlich auf schwerste Kriegs- und Krisengebiete abonnierte Extremreporter seinen Landmenschen aufs Maul und auf die Finger schaut. Los geht es auch hier mit dem Thema Rechtsextremismus; immerhin zieht es Ronzheimer dabei aber nicht nur in den Osten, sondern auch in seine ostfriesische Heimat.
Hayali begegnete Menschen auf Augenhöhe
Die bisher gelungenste Reportage-Reise liefert aber Dunja Hayali in einer Ausgabe der ZDF-Reihe »Am Puls« ab, die ab sofort in der ZDF-Mediathek zu sehen ist. Sie widmet sich unter dem Titel »Wütend, laut radikal« der »neuen Protestkultur« im Land, macht daran aber auch gleich ein Fragezeichen.
Auch Hayali beginnt ihre Fahrt im Osten der Republik und kommt mit rechten Demonstranten wie den Gegenbewegten ins Gespräch. Das gelingt nicht immer, aber es mag an Hayalis Art liegen, den Menschen mit klarer Haltung, aber offen und auf Augenhöhe zu begegnen, dass sie sie mehr zum Reden bringt als andere Recherchereise-Protagonisten.
Sie ist dabei nie belehrend, sondern wirklich interessiert. Und man nimmt ihr ab, dass sie ihre Meinung bei guten Argumenten vermutlich sogar ändern würde. Das macht sie aber nicht zur anpasslerischen »Ja«-Sagerin, im Gegenteil. Ob der gerichtsbekannte Rechtsaußen bei der Demo im Osten, der sein verbotenes SS-Totenkopf-Tattoo unter einem Verband trägt, um beim Aufmarsch keinen Ärger mit der Polizei zu bekommen - oder der Klimaschützer der Letzten Generation, der zum x-ten Mal nach einer Blockadeaktion kurzzeitig festgenommen wird: Hayali konfrontiert sie alle mit den existenziellen Fragen nach dem »Warum« - und fragt, ob andere Formen des Protestes nicht auch denkbar wären.
Aushalten und stehen lassen
»Gegen Faschismus zu demonstrieren, macht doch Sinn«, sagt sie dem Rechten ins Gesicht. »Gegen Krieg zu demonstrieren, macht aber auch Sinn«, entgegnet der. Und es gehört zu den Stärken der Doku, dass sie das aushält und stehen lässt.
Der erhobene Zeigefinger ist so gar nicht Dunja Hayalis Sache, sie hat ihn auch gar nicht nötig. Die Bauernproteste und ihre rechte Unterwanderung an manchen Orten kommen vor und zeigen, dass sich die Landwirtinnen und Landwirte sehr wohl dagegen wehren konnten und gewehrt haben.
Das stimmt hoffnungsfroh, doch das nächste Beispiel lässt dann auch Hayali ratlos zurück: Die sich weiter radikalisierende Bewegung von Islamisten, die ausgerechnet - oder vielleicht gerade deswegen - im säkularen Hamburg ein Kalifat errichten wollen, macht sprachlos.
Spätestens wenn nach einer ersten Demo mit radikalen Parolen die dahinter stehende Organisation ihre Strategie ändert und sich durch demonstratives Schweigen und leere Plakate mit der Aufschrift »Zensur« zum Opfer macht, reißt der Kommunikationsfaden ab. Es ist das einzige Mal im Film, wo auch Hayali auf Granit beißt und die Gegenüber stumm bleiben.
Doch geredet werden muss, so Hayalis Fazit. Zwischen Palästinensern und Israelis, Rechten und Linken, Klimarettern und Menschen, denen Veränderung Angst macht. Und vor allem mit allen, die dazwischenstehen. »Dazu müssen wir im Gespräch bleiben - auch wenn es manchmal weh tut«, sagt sie zum Abschluss des Films.
»Am Puls - Wütend, laut, radikal - die neue Protestkultur?« in der ZDF-Mediathek
»Machen wir unsere Demokratie kaputt« in der ARD-Mediathek (Trailer, verfügbar ab 26.08.)