Debatte

Wüste Beschimpfung oder antisemitischer Vorfall?

Seit 2017 Abgeordneter des Deutschen Bundestages: der umstrittene Politiker Stephan Brandner (M.) Foto: dpa

Er galt als Verräter schlechthin. »Wer war ihr Judas?« titelte im Frühjahr 2005 eine Zeitung, nachdem ein unbekannter SPD-Abgeordneter Heide Simonis seine Stimme bei der Wahl zur Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein versagte.

In den vergangenen Tagen hat der Begriff »Judaslohn« eine neue Debatte über Antisemitismus in der AfD ausgelöst. Der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, der AfD-Politiker Stephan Brandner, hatte die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Udo Lindenberg auf Twitter als einen »Judaslohn« bezeichnet.

BUNDESTAG Am Mittwoch distanzierten sich alle Fraktionen außer der AfD bei der Sitzung des Rechtsausschusses scharf von Brandner und forderten ihn zum Rücktritt auf. Dem Rechtsausschuss komme innerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung eine besondere Funktion zu, erklärten etwa die beiden Rechtspolitiker der Union, Elisabeth Winkelmeier-Becker und Jan-Marco Luczak.

Das Wort »Judaslohn« diente in der Vergangenheit antisemitischen Hetzern.

Bei Brandner vergehe »keine Woche ohne Grenzüberschreitungen und Entgleisungen, ohne dass er ausgrenzt oder Ressentiments schürt«. Am Donnerstag will sich der Geschäftsordnungs-Ausschuss des Bundestags mit der Frage befassen, wie der Vorsitzende abgewählt werden kann.

Brandner, der dem Höcke-Lager nahe steht, ist schon in Thüringen wegen wüster Beschimpfungen aufgefallen. Er selbst charakterisierte sich als »Pöbler aus dem Landtag«. Über Lindenberg schrieb er kürzlich auf Twitter: »Klar, warum der gegen uns sabbert/ sabbern muß: Der Musiker, der vor wenigen Tagen das Bundesverdienstkreuz von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erhalten hat...#Judaslohn.«

GEWISSEN Fest steht: Das Wort »Judaslohn« diente in der Vergangenheit antisemitischen Hetzern, ist aber auch ein feststehender Topos in Literatur, Kunst und Musik. Der Begriff rührt daher, dass der Apostel Judas Ischariot Jesus verraten und dafür von den Hohepriestern Geld erhalten haben soll. Der Evangelist Matthäus spricht ganz konkret von 30 Silberlingen.

Nach seinem Bericht erhängte sich Judas später wegen seiner Gewissensbisse. Die Apostelgeschichte berichtet demgegenüber, dass Judas stürzte, so dass sein Körper zerriss und die Eingeweide hervorquollen. Ein Gottesurteil sozusagen.

Die alten Berichte haben sich tief in Sprache und Kultur eingeprägt. Das Bild des habgierigen Verräters spiegelt sich auch in Redewendungen wie »Judaskuss« oder der Beschimpfung »Das ist ein Judas« wider.

Eine vollends antisemitische Aufladung erhielt der Begriff in der Dreyfus-Affäre in Frankreich.

BEDEUTUNG Schon im 13. Jahrhundert wurde der Begriff »Judaslohn« in der europäischen Literatur in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht: Einem Verräter wird der Judaslohn und damit ein schrecklicher Tod gewünscht. Rembrandt zeigt Judas, wie er seine Silberstücke wegwirft.

Eine vollends antisemitische Aufladung erhielt der Begriff in der Dreyfus-Affäre in Frankreich, als der jüdische Artillerie-Hauptmann Alfred Dreyfus 1894 fälschlicherweise des Hochverrats zugunsten Deutschlands beschuldigt wurde. Der Fall löste eine Welle des Antisemitismus aus.

Kein Wunder, dass Kritiker Brandner jetzt ein Spiel mit antisemitischen Begriffen vorhalten und ihm vorwerfen, er schüre Ressentiments. Der AfD-Politiker lehnte am Mittwoch erneut einen Rücktritt ab und sprach von einer Kampagne, die ihn und seine Partei diskreditieren solle.

»Bei dem Begriff Judaslohn handelt es sich um einen zugespitzten Begriff in der rhetorischen Auseinandersetzung, der in der Vergangenheit immer wieder auch von anderen Bundestagsabgeordneten nahezu aller Fraktionen unbeanstandet innerhalb und außerhalb des Parlamentes genutzt worden ist«, unterstrich der Abgeordnete. Er verwies auf »Judaslohn«-Äußerungen unter anderem von Rainer Brüderle (FDP), Johannes Kahrs und Karl Lauterbach (alle SPD) sowie Winfried Mack (CDU).

Entscheidend bei der Bewertung dürfte vor allem der Kontext sein und die Absicht dessen, der ihn verwendet.

Festzustellen bleibt: Auch in Literatur, Film und Musik ist der Begriff in der Vergangenheit verwendet worden - ohne große Proteste. So veröffentlichte der Schriftsteller Andree Hesse 2005 den Krimi »Der Judaslohn«. 2009 sendete das ZDF die Folge »Judaslohn« in der Krimireihe SOKO Stuttgart. Und 1994 brachte Marius Müller-Westernhagen den Song »Judaslohn« heraus.

Entscheidend bei der Bewertung dürfte vor allem der Kontext sein und die Absicht dessen, der ihn verwendet.

Bochum

Gil Ofarim kündigt Konzert an

Gerade erst zeigte er sich geläutert - nun kündigt er neue Pläne an

 22.11.2024

Den Haag

Der Bankrott des Internationalen Strafgerichtshofs

Dem ICC und Chefankläger Karim Khan sind im politischen und juristischen Kampf gegen Israel jedes Mittel recht - selbst wenn es unrecht ist. Ein Kommentar

von Daniel Neumann  22.11.2024

Saarbrücken

Moderne Galerie zeigt Illustrationen von Marc Chagall

Die Schau »Marc Chagall. Die heilige Schrift« ist bis zum 25. April 2025 zu sehen

 21.11.2024

Fußball

Neuer wackelt: Plötzliche Chance für Peretz im Bayern-Tor?

Manuel Neuer plagt »ein Stechen im Rippenbereich« und Sven Ulrteich fällt vorerst aus persönlichen Gründen aus

 21.11.2024

Gut besucht: die Konferenz in Berlin

Zionismus-Tagung

Vom Recht auf einen souveränen Staat

In Berlin diskutieren Referenten und Teilnehmer aus Deutschland und Israel verschiedene Aspekte

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Veranstaltungen

Sehen. Hören. Hingehen.

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 21. November bis zum 28. November

 21.11.2024

Liedermacher

Wolf Biermann: Ein gutes Lied ist zeitlos gut

Er irre sich zuweilen, gehöre habe nicht zu den »irrsten Irrern«, sagt der Liedermacher

 21.11.2024

Nachruf

Meister des Figurativen

Mit Frank Auerbach hat die Welt einen der bedeutendsten Künstler der Nachkriegsmoderne verloren

von Sebastian C. Strenger  21.11.2024

Berlin

Ausstellung zu Nan Goldin: Gaza-Haltung sorgt für Streit

Eine Ausstellung würdigt das Lebenswerk der Künstlerin. Vor der Eröffnung entbrennt eine Debatte

von Sabrina Szameitat  21.11.2024