Die Coronavirus-Krise hat in Israel einen »Kollateralnutzen«, von dem bis dato kaum die Rede war: Die ganz gewöhnliche Grippe ist quasi von der Bildfläche verschwunden.
So registrierten die Gesundheitsbehörden des Landes bis Anfang Januar nicht einen einzigen Fall. Das von vielen Medizinern im Sommer noch befürchtete Szenario einer »Twindemic«, also einer weiteren Pandemie parallel zu der bereits bestehenden, hat sich also nicht bewahrheitet.
GEsundheitssystem Im August wurde dieser Begriff, der Assoziationen an Katastrophenfilme weckt, erstmals in der Presse erwähnt, und zwar in der »New York Times«. Experten wie Amesh Adalja, Wissenschaftler am Johns Hopkins Center for Health Security, betonten zu diesem Zeitpunkt, dass selbst eine milde Grippesaison sehr problematisch werden könnte, wenn man bedenkt, dass die unvermeidlichen schweren Fälle jedes Jahr das Gesundheitssystem ohnehin belasten.
Dann kamen die überraschenden Daten aus der südlichen Hemisphäre, wo die alljährliche Influenza in die Sommermonate fällt. So vermeldete Australien für den Monat April bereits einen Rückgang von 98 Prozent. Aus Chile und Südafrika kamen ähnliche Zahlen. Die vermuteten Gründe: Lockdown, Abstandsregeln und der omnipräsente Mund-Nasen-Schutz sorgten dafür, dass anders als in früheren Jahren die Grippeerreger keine Konjunktur haben konnten.
Auch war die Bereitschaft zur Schutzimpfung deutlich höher als sonst. Vielleicht traute sich aber auch die eine oder andere Person mit Schnupfen und Husten aus Furcht vor einer positiven Covid-19-Diagnose einfach nicht zum Arzt.
Krankenhaus Ähnliches wurde in den Vereinigten Staaten beobachtet. Hatten sich im vergangenen Winter rund 38 Millionen Amerikaner eine Grippe eingefangen, die in ungefähr 400.000 Fällen einen so schweren Verlauf nahm, dass ein Krankenhausaufenthalt notwendig wurde, scheint es derzeit nur ein Bruchteil davon zu sein. Gerade einmal 0,2 Prozent von 400.000 Testabstrichen waren bis jetzt positiv. In der Grippesaison des Vorjahres lag dieser Anteil bei 13 Prozent.
Auch für Deutschland vermeldete das Robert-Koch-Institut einen starken Rückgang. Seit Beginn der 40. Kalenderwoche des vergangenen Jahres, dem Anfang einer jeden Grippesaison hierzulande, gab es bis zum 7. Januar nur 266 bestätigte Infektionen. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum lag die Fallzahl bei über 2900.
Verlauf Null gemeldete Grippekranke in Israel – diese Tatsache als solche bedeutet nicht zwangsläufig, dass es überhaupt keine gab. Wohl aber wären eine signifikante Ausbreitung oder problematische Krankheitsverläufe von den Verantwortlichen irgendwie bemerkt worden. »Normalerweise beginnen wir ab Ende Oktober, die ersten Fälle zu registrieren«, weiß Anat Engel, Generaldirektorin des Wolfson Medical Center in Holon, zu berichten. »Aber dieses Jahr ist das bisher noch nicht geschehen.« Das lag gewiss auch an der Impfbereitschaft. Fast doppelt so viele Israelis wie in normalen Jahren erhielten ihren Grippeschutz.
»Es gibt derzeit aber auch kaum Tourismus«, ergänzt Tanya Cardash, medizinische Direktorin bei der Krankenkasse Maccabi. »Auslandsreisen sind einer der Hauptwege, wie die Grippeviren nach Israel gelangen.« Zudem bemerkte sie eine Veränderung im Verhalten.
»Normalerweise neigen Israelis dazu, selbst dann zur Arbeit zu gehen, wenn sie sich unwohl fühlen«, so Cardash. »Man nimmt eine Ibuprofen, und das ist es auch schon.« Nun aber achten alle verstärkt auf ihre Gesundheit – vor allem, um ältere Menschen nicht zu gefährden. Cardash hofft, dass das auch nach der Pandemie so bleibt.