Vor genau einem Jahr tanzte Hersh Goldberg-Polin auf dem alten Flugplatz im mecklenburgischen Lärz, wo seit 1997 die »Fusion« stattfindet. Es war der Auftakt seiner mehrwöchigen Festival-Reise – so erzählen es seine Angehörigen auf Anfrage. Einer Reise, die am 7. Oktober in der Negevwüste brutal und abrupt endete. Der 23-jährige amerikanisch-israelische Staatsbürger wurde in den frühen Morgenstunden des Supernova-Festivals nach Gaza entführt. Bis heute ist er dort Geisel der Hamas. Aufnahmen zeigen Hersh mit blassem, abgemagerten Gesicht, ihm fehlt seit dem Anschlag ein Arm.
Schon Monate, bevor die Fusion dieses Jahr am 26. Juni beginnen konnte, standen die Veranstalter des größten linken Festivals Deutschlands in der Kritik. Nachdem der Kulturkosmos – der Verein dahinter – in einem Newsletter im Februar geschrieben hatte, dass Hamas-Verherrlichung keinen Platz auf dem Festival habe und das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar sei, startete die anti-israelische Gruppierung »Palästina Spricht« im Mai eine Boykottkampagne. Am selben Tag zog sich der Kulturkosmos von »roten Linien« scheinbar zurück und schrieb plötzlich von »Apartheid« und »Genozid«. Das Schicksal des Supernova-Festivals spielte bei der Vorbereitung der Fusion so gut wie keine Rolle.
Am Freitagabend erinnerten mehrere Hundert Menschen mit Bengalos und erhobenen Fäusten an Hersh.
All das hinterließ Spuren. Vergangenen Freitag sollte in Lärz eine Diskussionsveranstaltung mit drei Überlebenden des rechtsterroristischen Halle-Anschlags stattfinden. Doch schon vor Festivalbeginn sagten sie aus Protest ab. Die Fusion habe »nicht nur das Vertrauen vieler verloren, sondern sich auch als ein weiterer Ort etabliert, der das Leben von Jüdinnen_Juden schwer macht und antisemitische Ansichten salonfähig macht«, heißt es in ihrem Statement, das in Abwesenheit vorgelesen wurde.
Doch zumindest einige Festivalbesucherinnen und Mitarbeitende trugen ihre Solidarität mit dem Supernova mit auf die Fusion. Am Freitagabend erinnerten mehrere Hundert Menschen mit Bengalos und erhobenen Fäusten an Hersh. »We will dance again« stand auf einem Transparent – ein Slogan der Supernova-Überlebenden. Trotz einiger anti-israelischer Graffiti wie »From the Müritz to the Spree, Palestine will be free« waren am Ende deutlich mehr antisemitismuskritische und israelsolidarische Symbole und Botschaften zu sehen. Damit haben viele »Fusionistas« gezeigt: Auch dafür steht die Fusion.