Eine komische Tante hat jeder im Schrank. Wer erinnert sich nicht an die berühmte Feststellung von Loriot, die im ebenso eindringlichen wie ruppig charmanten Bild daran erinnert, dass Witz und Humor nicht dasselbe sind. Denn Witze hat man parat, sie machen munter und sorgen für Heiterkeit in der Stegreifkommunikation. Ihre Klugheit lebt vom verstiegenen Vergleich, vom absurden Übertreiben, ihre Leistung liegt in der Entlastung von der Schwere der Situation. Ihr großes und in Tausenden Varianten durchgespieltes Thema ist die menschliche Unvollkommenheit.
Jedoch: Der Witz, der dazu einlädt, über jemandes Widerfahrnis zu lachen oder zu bewundern, wie jemand gerade darin zu überleben versteht, unterscheidet sich erheblich von der komplexen seelischen Bereitschaft, die wir als Humor bezeichnen. Aber wie eigentlich? Und mehr noch: Lässt sich über diese Unterscheidung hinaus und angesichts der schier unerschöpflichen Vielfalt jüdischer Witze, virtuos und treffend zur Situation zum Besten gegeben oder in Anthologien gesammelt, gelesen oder vorgelesen, gar von einer spezifisch jüdischen Variante von Witz und Humor sprechen?
Privileg Doch wohl nicht, denn es geht nicht um Inhalt oder Thema, vielmehr um eine Kunst der Beteiligung am Gespräch. Witz und Humor als kulturelles Privileg des Judentums zu bezeichnen, wäre übertrieben, geht es schließlich nur um unterschiedliche Formen, sich an Gesprächen zu beteiligen. Der Witz eine verdichtete Geschichte, die nichts anderes zum Thema hat als die Schicksalshaftigkeit menschlicher Existenz.
Aufschlussreich ist dabei die Position des Witzerzählers. Die ist ebenso komfortabel wie riskant, weil stets von Dritten, nicht Anwesenden die Rede ist, von Menschen somit, denen gegen ihre Absicht, gegen ihren Stolz Unerwartetes geschehen ist, die in Begegnungen gestrauchelt, gestolpert sind, die unbeholfen waren – aber der Erzähler ist stets außen vor und kommentiert im Einfall des Witzes Vermessenheit und Selbstüberschätzung. Gewiss bedarf es einer Klugheit, im richtigen Moment eine Konversation mit einem Witz zu bereichern und insofern für Entlastung zu sorgen – bekanntlich liegen dabei Güte und Spott nicht weit voneinander entfernt. Allerdings ist beim Witz das Format, die verdichtete Geschichte, abrufbar – eben wie die besagte Loriotsche Tante im Schrank.
Ganz anders der Humor. Bei genauer Betrachtung ist der Humor nicht ein Textformat oder dergleichen, vielmehr Bestandteil einer Philosophie des Lebens, einer Kunst, unbefangen zu sein. Wer auf den trivialen, aber trotz seiner Trivialität nicht falschen Satz verweist, dass man beim Humor trotzdem lacht, erfasst Wesentliches. Humor erweitert die Perspektive der Betrachtung und fügt etwas Drittes hinzu. Und wer darüber nachdenkt, wann sich typischerweise der Humor zu Wort meldet, der stößt auf Situationen der vermeintlichen Unausweichlichkeit, in denen durch Humor ihre Unausweichlichkeit genommen wird.
mitlachen Wodurch eigentlich? Der Humor ist erfinderisch, er findet einen Ausweg selbst und gerade wenn es einen Ausweg nicht zu geben scheint. Der Humor nimmt einer Situation ihre Einmaligkeit, in gewisser Hinsicht trivialisiert er die Erfahrung, indem er deutlich macht, dass sich im Erleben der Menschen Schicksalshaftes wiederholt. Seine tiefgehende Wirkung liegt im Trost, und seine kommunikative Leistung erweist sich darin, dass er die Elastizität der Begegnungen erhöht. Humor nimmt der Begegnung die Schwere und entwindet den Akteuren ihre Tendenz zur Selbstüberschätzung, auch und gerade, wenn ein erfahrenes Leid sie dazu verführt: »Mach dich nicht so klein, so groß bist du nicht.«
Das Lachen, das feinsinnig gedeutet zu haben wir dem bedeutenden deutsch-jüdischen Philosophen Helmuth Plessner verdanken, ist beim Humor ein Lachen, das mitlacht und nicht etwa ein Lachen über. Es setzt ein, wenn Menschen orientierungslos werden, wenn ihr Handeln die Bewandtnis verliert, wenn die Situation in ihrem Sinngehalt überfordert. Humor meint daraufhin die Einstellung, die Überforderung nicht zu bekämpfen oder vor ihr zu fliehen, vielmehr sie als genuin menschlich zu akzeptieren. Im Humor werden Menschen ihrer Schwäche gewahr und lernen ihre geistige Hinfälligkeit, die sie situativ überrascht, anzunehmen.
Wenn diese Bereicherung, die der Humor verspricht, nun ganz allgemein für Erfahrungen der Ausweglosigkeit gilt, gibt es nicht dennoch etwas spezifisch Jüdisches, das den Humor bestimmt? Zwar sind die Gesprächssituationen, in denen der Humor seine großartige Leistung zu trösten zeigt, überall zu finden, verweist doch die Suche nach dem Dritten, nach einer fremden Perspektive, die die Erfahrung anreichert, auf eine jüdische Tradition. Die Marginalität einerseits sowie die durch die Selbstverborgenheit Gottes ausgelöste Erkenntnisbegeisterung, die intellektuelle Schulung im Streit mit Gott, sie haben eine geradezu virtuose Suche nach Alternativen freigesetzt.
Trost In der Tat ist es die im Judentum historische Erfahrung der Fremdheit, die Perspektive, die Welt »mit anderen Augen« (Helmuth Plessner) zu sehen, die eine besondere Prämie auf geistige Wendigkeit setzt. Zur Marginalität und dem Topos des Exils zählt seit jeher die Erfahrung des Leids, des Angewiesenseins auf den Trost. Sie begründen einen geistig-raffinierten Umgang mit der Schicksalshaftigkeit, mit der Nichtveränderbarkeit der Situation.
All dies, die liebevolle Schonung angesichts des Scheiterns eigener Bemühungen begünstigt die Weisheit des Lachens, das ein Lachen über die Unvollkommenheit des Menschen ist. Wer in diesem Sinne Humor hat, trägt den göttlichen Trost sozusagen im eigenen Gemüt. Man macht sich im geistigen Darüberstehen situativ zum Stellvertreter Gottes und erkennt an, auf seinen Beistand angewiesen zu sein. Im Humor erklingt beides zugleich: der Ruf nach dem Bund und die Erneuerung des Bundes.
Der Autor ist Sozialpsychologe an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Auf der Tagung »Kennst Du den? Jüdischer Humor als Zugang zur Welt«, die die Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden vom 2. bis 4. Dezember in Frankfurt veranstaltet, wird er einen Vortrag zum Thema halten.