Herr Seul, im Oktober fand die »2. Interdisziplinäre Antisemitismustagung für Nachwuchswissenschaftler:innen« statt. Was ist das Konzept der Konferenz?
Die Idee ist entstanden, weil wir beobachtet haben, dass junge Antisemitismusforscher momentan kaum die Möglichkeit haben, ihre oft sehr interessanten Forschungsergebnisse einem breiteren Fachpublikum vorzustellen. Wir wollten eine Plattform schaffen, auf der sich Master- und Promotionsstudierende sowie zivilgesellschaftliche Akteure – etwa Initiativen und Einrichtungen, aber auch Lehrer und Pädagogen – miteinander austauschen und vernetzen können. Insgesamt gab es dieses Jahr 20 Vorträge.
Was beschäftigt junge Antisemitismusforscher aktuell besonders?
Das ist vor allem die Virulenz des Antisemitismus, die man in vielen gesellschaftlichen Bereichen und Milieus beobachten kann. Beispiele sind die Querdenker-Bewegung oder die anti-israelischen Demonstrationen im Mai 2021. Von besonderem Interesse ist dabei gegenwärtig, dass der Antisemitismus als ideologisches Bindemittel fungiert. Sehr unterschiedliche Gruppen können sich unter diesem gemeinsamen Nenner des Antisemitismus vereinigen. Was Nachwuchswissenschaftler zum Beispiel interessiert, ist die Rolle von Emotionen und Affekten in diesen Bewegungen oder die Bedeutung der sozialen Medien.
Welche Ausbildungsmöglichkeiten gibt es für Studierende, die sich für Antisemitismusforschung interessieren?
Es gibt nur einen dezidierten Studiengang für Antisemitismusforschung in Deutschland, an der Technischen Universität Berlin. Davon abgesehen sind Studierende, die an dem Themenkomplex interessiert sind, bei der Wahl ihres Studiums darauf angewiesen, gezielt nach einzelnen Wissenschaftlern Ausschau zu halten, die dazu Lehrveranstaltungen abhalten. Leider ist das an gar nicht so vielen Universitäten der Fall. Es bleibt oft an engagierten Einzelnen hängen, diese Themen zu bedienen.
Was sollte sich im Bereich der Antisemitismusforschung ändern?
Es gibt meist nur kleine und auf wenige Jahre ausgelegte Forschungsprojekte zu sehr spezifischen Themen. Ein so vielschichtiges Problem wie Antisemitismus benötigt aber dauerhafte und gut finanzierte Forschungseinrichtungen, um diesem Phänomen überhaupt gerecht werden zu können.
Die Tagung wurde von der »Initiative Interdisziplinäre Antisemitismusforschung« der Universität Trier organisiert. Welche Aufgabe hat die Initiative?
Wir sind ein Zusammenschluss von jungen Wissenschaftlern an der Universität Trier, die sich mit Antisemitismus beschäftigen. Neben der Nachwuchskonferenz organisieren wir weitere Vortragsreihen, Konferenzen sowie die Kulturwochen gegen Antisemitismus. Außerdem bieten wir Workshops zu Antisemitismus an, zum Beispiel an der Hochschule der Polizei Rheinland-Pfalz oder bei Bildungsinitiativen in der Region. Mittlerweile befinden wir uns auch in sehr fortgeschrittenen Gesprächen über die Gründung eines Instituts.
Was wünschen Sie sich für die dritte Nachwuchskonferenz, die in zwei Jahren ansteht?
Wir wünschen uns, dass es neben dem intensiven fachlichen Austausch auch wieder zu persönlich bereichernden Begegnungen kommen wird. Bis dahin können wir die Tagung hoffentlich schon als Institut ausrichten.
Mit dem Gründungsmitglied der Initiative sprach Joshua Schultheis.