Frau Charhi, »Woman, Life, Freedom« – wofür steht dieser Spruch, unter dem Frauen und Männer im Iran für ihre Freiheit auf die Straße gehen?
Gerade jetzt und schon mein ganzes Leben lang ist es meine Agenda, über Frauen, die in Freiheit leben wollen, zu schreiben, mit ihnen zu sprechen und zu arbeiten. Ich komme selbst aus einer iranischen Familie, und es war nicht leicht, selbst in Israel nicht, den eigenen Platz zu Hause zu finden. Freiheit liegt in der iranischen DNA. Denn wir Frauen in einer iranischen Familie werden stumm gehalten.
Inwiefern?
Nun, keiner verbietet einem den Mund, keiner befiehlt dir das, aber man wird erzogen, um das gute Mädchen zu sein, die gute Frau, die gute Mutter. Man soll an sich selbst zuletzt denken.
Sie sind für viele Frauen im Iran durch Ihre Musik eine Art Vorbild geworden.
Als ich anfing, auf Farsi zu singen, wollte ich meine eigene Geschichte erzählen. Ich wollte meine Wunden öffnen, um sie zu heilen. Frauen im Iran dürfen nicht auf eine Bühne gehen und singen, sie dürfen nicht in den Straßen tanzen oder sich küssen – diese ganz einfachen Dinge, die wir alle wollen. Das alles brach mein Herz und brachte mich zurück in meine Kindheit, zu den Geschichten meiner Großmütter, die mit elf verlobt wurden. Sie hatten keine Möglichkeit, herauszufinden, was Liebe ist, was das überhaupt ist: ein Mann, eine Frau. Sie waren irgendwie meine Vorbilder, um als Künstlerin dagegen aufzubegehren.
Fans kommen mit iranischen Flaggen zu Ihren Konzerten. Was bedeutet Ihnen das?
Ich komme mir vor wie in einem Film. Im vergangenen Jahr habe ich noch viel auf der Bühne erklärt, woher ich komme, habe Dinge über meine Familie erzählt. Dann ging immer so ein Raunen durchs Publikum. Heute wissen sie das alles, diese Blase ist geplatzt, und sie wollen Teil der Veränderung sein. Für mich ist das im positivsten Sinne verrückt. Ich könnte nicht stolzer sein.
Sie haben mit iranischen Musikerinnen in Istanbul Musik für Ihr Album »Roya« aufgenommen. Haben Sie Kontakt zu ihnen?
Meine Schwestern und ich tauschen uns regelmäßig aus. Dass die Welt an ihrem Kampf teilnimmt, gibt ihnen viel Hoffnung und Stärke.
Wird diese Revolution erfolgreich sein?
Ja! Ich mag vielleicht naiv klingen oder etwas verrückt. Es gab ja schon oftmals Demonstrationen und dann wieder lange Pausen, aber dieses Mal dauert es bereits drei Monate. Ich fühle, dass das hier nicht umkehrbar ist. Es gibt kein Zurück. Und sie haben die Fähigkeiten, die Stärke, und sie werden nicht müde. Das zeigt, wie beständig und mutig die Menschen sind. Wenn die Angst weg ist, kommt die Freiheit.
Am vergangenen Wochenende soll die sogenannte Sittenpolizei aufgelöst worden sein. Ist das ein erstes Zeichen, dass sich etwas bewegt?
Ja, ein weiterer Schritt.
Was erzählen Ihnen die Musikerinnen, mit denen Sie sich in Istanbul getroffen haben?
Sie sagen mir, dass sie auf sich aufpassen. Einige von ihnen haben ja auch Familie. aber wann immer sich die Möglichkeit ergibt, etwas zu tun, machen sie das. Das Kopftuch ablegen, in den Straßen tanzen, singen, über die Situation schreiben, posten. Manchmal schicken sie mir Post, die ich dann weitergebe, wenn zum Beispiel eine Schauspielerin vermisst wird. Manchmal sind es auch schwierige Gespräche, wenn es ein gewaltvoller Tag war.
Wenn Sie – irgendwann einmal – die Möglichkeit hätten, in den Iran zu fahren. Was würden Sie sehen wollen?
Den Milad Tower. Das ist eine Konzert-Location, und dort würde ich gern mit meinen Musikerinnen auftreten. Das wird das Erste sein, wenn Iran frei sein wird.
Warum haben Sie sich entschieden, auf Farsi zu singen?
Ich wuchs ja mit zwei Seiten auf – israelisch und iranisch. Ich fragte mich immer, wer ich bin, und als ich mich dazu entschloss, Farsi zu singen, war das sehr bewusst, denn ich wollte mit allen meinen Seiten glänzen. Mit dem Schmerz und mit der Freude. Ich singe kein perfektes Farsi, ich habe meinen israelischen Akzent – sowohl in den Texten als auch in der Musik.
Welche Musik hat Sie beeinflusst?
Psychedelisch-iranische Musik der 70er-Jahre, meine Musiker mit den traditionellen iranischen Instrumenten und meine israelische Band. Wir haben das Album mit den iranischen Musikerinnen ja live aufgenommen. Zehn Tage voller Freude und Angst.
Welches Wort in Farsi fasst das Gefühl der Situation gerade für Sie zusammen?
Roya. Es kann mit Vision oder Fantasie übersetzt werden. Und das hält mich am Laufen. Der Traum von Freiheit. Ich wollte das Album erst »Azadi« nennen, was Freiheit bedeutet. Aber ich kann nicht über Freiheit singen, ehe die Freiheit nicht da ist.
Wie sieht die Unterstützung in Israel aus?
Wir haben viele Demonstrationen, sie sind nicht besonders groß, aber viele Künstler engagieren sich.
Mit der israelischen Sängerin sprach Katrin Richter.