Frau Amrami, Ihr Film »Anderswo« ist in der vergangenen Woche in den deutschen Kinos angelaufen. Zum ersten Mal gezeigt wurde er allerdings vor einem Jahr auf der Berlinale. Was hat sich seitdem verändert?
In diesem Jahr lief der Film auf vielen internationalen Festivals, Ich war erstaunt, dass die Menschen, die an so verschiedenen Orten leben, fast alle gleich auf den Film reagiert haben. Mein Mann Momme Peters und ich haben »Anderswo« gemeinsam geschrieben, und es war uns wichtig, dass wir damit alle Menschen ansprechen, die ihre Heimat vermissen. Als wir zur Vorpremiere in Hamburg waren, kamen übrigens am Ende des Films viele Israelis auf uns zu und sagten: »Ich bin Noa, das ist meine Geschichte.« Das war sehr lustig.
Was ist Heimat?
Man muss dafür nicht das Land verlassen, man kann auch aus Hannover nach Berlin kommen, dort eine neue Heimat finden und trotzdem bereits etwas vermissen, von dem man vielleicht nicht gleich weiß, was genau es ist. Das wollten wir in unserem Film umsetzen, und dass uns das gelungen ist, ist eine große Freude.
Was war für Sie der Auslöser, diesen Film zu machen?
Heimatlosigkeit ist ein Thema, das mich aus biografischen Gründen interessiert. Das wollte ich filmisch und szenisch thematisieren. Die Herausforderung für Momme und mich beim Schreiben des Drehbuchs war: Wie setzt man dieses Thema um? Noa, die Hauptfigur in »Anderswo«, sagt nie, dass sie ihre Heimat vermisst. Und trotzdem kommt dieses Gefühl rüber. Es hat uns geholfen, dass mein Mann Deutscher ist und ich Israelin, so hatten wir immer die beiden Perspektiven.
Worauf haben Sie bei der Auswahl der Schauspieler besonders geachtet?
Neta Riskin, die Noa spielt, hat selbst für einige Jahre in Deutschland gelebt. Sie könnte sagen: Das ist meine Geschichte. Die Figur des Jörg ruft beim Publikum ganz unterschiedliche Reaktionen hervor. Manche Deutsche sagen, er ist so voller Klischees und Ausländer mögen ihn. Er ist genau so, wie sie die Deutschen kennen, und der Richtige Gegenpart für Noa, die sehr viele Launen hat, sehr desorientiert sein kann. Jörg ist ja sehr stabil, und ist für sie wie ein Anker. Zwischen Golo Euer und Neta Riskin kam schon im Casting genau die Chemie rüber, die ich in den beiden Figuren gesehen habe, eben auch dieses Kontroverse, dass man nicht gleich denkt: Ah die sind füreinander bestimmt. An Hana Lazlo als Mutter haben wir schon beim Schreiben gedacht, dass sie den Part wirklich übernommen hat, war toll.
Der Film wirkt sehr sachlich, fast schon dokumentarisch.
Das nehme ich als Kompliment, wir wollten immer, dass man gar nicht merkt, dass da Schauspieler nach einem Drehbuch agieren. Wir wollten auch nie eine romantische Liebesgeschichte erzählen. Wir hatten Sorge, dass die Liebe zwischen Noa und Jörg im Vordergrund stehen würde. Deswegen haben wir diesen Teil nicht so stark ausgebaut. Am Ende weiß man nicht, ob die beiden eine gemeinsame Zukunft haben.
Sie leben selbst seit über zehn Jahren in Berlin. Wie biografisch ist »Anderswo«?
Es ist natürlich eine ausgedachte Geschichte, aber der Konflikt des Films ist auch mein Konflikt, nämlich, wo ist mein Zuhause.
Warum sind Sie nach Berlin gekommen?
Ich wollte studieren, was ich dann auch getan habe. Aber Berlin vor elf Jahren, das war eine andere Stadt. Man konnte die Israelis, die hier lebten an einer Hand abzählen. Wir waren Exoten. Heute ist es eher so: Ach, schon wieder Hebräisch. Ich fand Berlin so spannend. Es gab hier sehr viel zu entdecken. Und das denken die Israelis, die heute nach Berlin kommen, wahrscheinlich immer noch.
Wie erleben Sie Berlin heute?
Ganz wichtig ist, dass ich mich verändert habe: Ich bin Mutter geworden, ich war schon in vielen Ecken der Stadt. Ich verstehe die Sprache. Und vor elf Jahren gab es immer noch Löcher in Mitte. Jetzt sind sie zugebaut und man weiß gar nicht mehr, wo sie waren. Die Friedrichstraße sah 2003 noch komplett anders aus. Alles wirkte so »underground«. Als Ausländer hatte man es nicht gerade leicht, denn Englisch wurde so gut wie nirgends gesprochen. Und außer Wurst und Buletten gab es höchstens noch indische Restaurants. Berlin kann ja jetzt kulinarisch fast mit Tel Aviv konkurrieren. Alles scheint heute anders in Berlin, in gewisser Weise auch einfacher
Im Film wird Heimat auch durch viele Naturaufnahmen gezeigt: blühende Bäume in Israel, schneebedeckte Parks in Deutschland. Wie war denn Ihr erster Winter?
Ich fand ihn toll. Ich habe Schnee fallen gesehen, es war wie im Märchen. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und ich hasse dieses Wetter, wie alle.
Noa schreibt ein Buch für unübersetzbare Wörter. Kam das aus Ihrer eigenen Sprachlosigkeit, die Sie nach Ihrer Ankunft erlebt haben?
Ja, das kenne ich sehr gut. Und ich lebe auch in einer zweisprachigen Beziehung. Wir kennen das Gefühl, dass man nicht alles übersetzen kann. Ich denke, dass es nicht ganz so wichtig ist, denn es gibt so viele andere Formen der Kommunikation. Trotzdem ist es natürlich zentral, wenn man die Sprache noch nicht beherrscht: Wie kann man diese Lücken, die man fern der Heimat spürt, sprachlich ausdrücken?
Welches Wort ist für Sie nicht übersetzbar?
Feierabend – so etwas gibt es im Hebräischen nicht. Ich mag das Wort sehr, obwohl man als Regisseurin nie wirklich Feierabend hat. In Israel kann man immer noch fünf Minuten länger in den Laden gehen. Vielleicht wird die Verkäuferin damit nicht so zufrieden sein, aber man wird nicht rausgeschmissen.
Und aus dem Hebräischen?
Chafiff – etwas, was man nicht gründlich macht oder etwas, was man nicht so wichtig nehmen soll.
Mit der Regisseurin sprach Katrin Richter.
www.anderswo-film.com