Der Publizist Alex Feuerherdt bewertet die israelfeindliche BDS-Bewegung als »im Kern« antisemitisch motiviert. »Man muss ihr den öffentlichen Raum nehmen«, sagt der Journalist im Gespräch mit dieser Zeitung. Die BDS-Kampagne (»Boycott, Divestment and Sanctions) gebe nur äußerlich vor, für die palästinensische Sache einzustehen. Zusammen mit dem Politikwissenschaftler Florian Markl hat Feuerherdt das Buch Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand veröffentlicht.
Herr Feuerherdt, BDS gibt es seit nun 15 Jahren. Die Kampagne wirft Israel Menschen- und Völkerrechtsverletzungen gegen die Palästinenser vor und ruft unter anderem zum Boykott von israelischen Waren auf. Wie erfolgreich ist die Kampagne?
Die BDS-Bewegung will vor allem Israel ökonomisch schaden. Das hält sich aber in Grenzen. Im kulturellen Bereich kann sie wohl die meisten Erfolge verzeichnen. Da richtet sich der Boykott dann gegen Musiker oder Bands, die auch in Israel auftreten. Solche Boykottaufrufe findet man in der ganzen Welt, wie zum Beispiel in Berlin. 2017 und 2018 hat es dort das »Pop-Kultur«-Festival getroffen, weil die Kulturabteilung der israelischen Botschaft einen Reisekostenzuschuss für Musiker gezahlt hat. Die BDS-Bewegung hat damals Künstler aufgefordert, nicht auf dem Festival aufzutreten.
2019 verurteilte der Bundestag BDS als antisemitisch. Mitte Dezember wandten sich Vertreter renommierter Kulturinstitutionen gegen diese Resolution. Der Wissenschaftliche Dienst des Parlaments wiederum kommt nun in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Beschluss von 2019 nicht mehr sei als »eine politische Meinungsäußerung im Rahmen einer kontroversen Debatte«. Er entfalte deshalb »keine rechtliche Bindungswirkung für andere Staatsorgane«.
Die Bundestagsresolution führt nicht zur einer Einschränkung der Meinungsfreiheit. Sie würgt also keine Diskussion ab, wie es die Initiative behauptet, sondern ermöglicht erst eine Debatte über höchst problematische Positionen zu Israel. Die Resolution ist ein wichtiger Schritt, um BDS als antisemitische Bewegung ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, ihr die Öffentlichkeit zu nehmen. Dabei geht es nicht um ein Verbot, sondern darum, öffentliche Gelder und Räumlichkeiten für BDS-Veranstaltungen nicht zur Verfügung zu stellen.
Sie haben zusammen mit dem Politikwissenschaftler Florian Markl
ein Buch geschrieben, das sich kritisch mit der Bewegung
auseinandersetzt. Warum halten Sie BDS für gefährlich?
Weil sie Antisemitismus verbreitet und ihn salonfähig macht. Sie hat im Kern eine antisemitische Motivation. Der klassische Antisemitismus richtet sich gegen Juden, der moderne Judenhass gegen Israel, den jüdischen Staat. BDS dämonisiert Israel, stellt sein Existenzrecht infrage und wendet bei der Bewertung seiner Politik überzogene Maßstäbe an. Natürlich kann man Israel kritisch sehen - dieses Land ist so wenig perfekt wie andere Länder auch.
Die BDS-Bewegung behauptet, nicht gegen Israel, aber für die
palästinensische Sache einzutreten.
Von Anfang an wollte man ihr die Fassade der palästinensischen Zivilgesellschaft verleihen, um ihr eine hohe moralische Glaubwürdigkeit zu verleihen. Doch erstaunlicherweise setzt man sich nicht für die Interessen etwa von palästinensischen Flüchtlingen in Syrien ein. Wir bestreiten, dass es der Bewegung wirklich um Frieden oder Koexistenz zweier Staaten geht. Es geht ihr stattdessen um die Vernichtung Israels. In der Mutterorganisation sind Gruppen wie die Hamas oder die Fatah vertreten. Die Hamas wird von der EU als Terrororganisation eingestuft. Sie macht den Menschen in Gaza das Leben zur Hölle.
Die Gründungsgeschichte der Kampagne geht zurück auf das Jahr
2005 ...
... ja, die offizielle Gründung war am 9. Juli 2005, aber sie hatte einen langen Vorlauf und nahm ihren Anfang im September 2001. Parallel zur dritten »Weltkonferenz gegen Rassismus« der Vereinten Nationen im südafrikanischen Durban hat ein großes Treffen von Nichtregierungsorganisationen stattgefunden, die von israelfeindlichen Organisationen und Aktivisten gekapert und in ein Festival des Israelhasses umgewandelt wurde. In dessen Abschlusserklärung wurde unter anderem ein umfassender internationaler Boykott Israels gefordert.
Die BDS-Bewegung behauptet, die »israelische Apartheid« überwinden zu wollen. Palästinenser in Israel und in den besetzten Gebieten seien Bürger zweiter Klasse, kritisiert BDS. Assoziationen an das rassistische Südafrika sind dabei gewollt?
Ja, das ist der moralische Vorwand gegen Kritik. Die BDS-Bewegung entgegnet dann, die Initiative richte sich gegen Israel, nicht aber gegen Juden. Diese Unterscheidung ist aber Augenwischerei. Sie fordert von Israel, die »Besetzung und Kolonisation allen arabischen Landes« zu beenden. Radikale BDS-Vertreter meinen damit auch schon einmal nicht nur das Westjordanland, sondern auch das gesamte Staatsgebiet des heutigen Israel. Ganz Israel gilt damit als illegale Siedlung. Zudem wird ein Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge gefordert, die nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 fliehen mussten, sowie für sämtliche Nachkommen. Das sind heute fünfeinhalb Millionen registrierte Palästinenser. Ließe man deren »Rückkehr« zu, hieße das, dass man von Israel nicht mehr als einem jüdischen Staat sprechen könnte. Israel wäre als Lebensversicherung für alle Juden und Jüdinnen auf der Welt bedroht.
Wo ist BDS besonders stark und warum?
Einen nennenswerten Einfluss hat sie vor allem in Großbritannien. Dort hat man es zum Beispiel als israelischer Wissenschaftler oder israelische Autorin sehr schwer ungestört aufzutreten, weil Veranstaltungen regelmäßig niedergebrüllt werden. Das lässt sich auf die Geschichte Großbritanniens als Kolonialmacht zurückführen. Für die BDS-Bewegung ist Israel auch eine Kolonialmacht - wenn man es also kritisiert und bekämpft, dann wirkt das wie eine Entlastung: »Nicht nur Großbritannien hat koloniales Unrecht begangen, sondern es gibt auch andere Länder mit einer Kolonialgeschichte!»
Deutschland hat im Vergleich nur eine kleine Kolonialgeschichte.
In Deutschland hat es die BDS-Kampagne schwerer, denn hier gibt es zum Glück moralische Manschetten. Bei den Nazis hieß es: »Kauft nicht bei Juden!« Bei BDS heißt es: »Kauft keine israelischen Waren!« Der Antisemitismus ist einfach zu eindeutig. Aber auch in Deutschland wurden schon Veranstaltungen niedergebrüllt, wie zum Beispiel der Auftritt der Schoa-Überlebenden Deborah Weinstein an der Berliner Humboldt-Universität im Juni 2017. Die Veranstaltung wurde gestört, weil mit Weinstein die Knesset-Abgeordnete Aliza Lavie auf dem Podium saß. Dass es möglich ist, eine Überlebende in Deutschland derart bloßzustellen, ist der BDS-Initiative in voller Verantwortung zuzuschreiben.
Wie soll man Ihrer Meinung nach der Kampagne begegnen?
Parteistiftungen und auch kirchliche Einrichtungen sollten sich von BDS-Forderungen ab- und palästinensischen Organisationen zuwenden, die auf eine friedliche Kooperation mit Israel setzen. Damit würde die Zivilgesellschaft in Palästina gestärkt, die sich im Westjordanland gegen die Fatah und gegen die Hamas in Gaza richtet. Damit könnte eine andere Ära in den Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern begründet werden.
Das Interview führte Elisa Makowski.
Alex Feuerherdt, Florian Markl: Die Israel-Boykottbewegung. Alter
Hass in neuem Gewand. Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin Leipzig
2020.