Berlin

»Wir halten die Fahne hoch«

Das beim großen Event angebotene Falafel war kein Industrieprodukt, sondern eine frisch zubereitete Sensation. Dies sah man ihm schon an, bevor man reinbiss. Für die koschere Currywurst brauchte man Mut, den der Autor nicht mitbrachte, aber es gab genügend andere Gaumenfreuden, deren exzellenter Geruch sich über den gesamten Synagogenhof verbreitete.

Als die ersten Besucher schon auf das Gelände strömten, wurde im Expressverfahren ein Gruppenfoto auf der glücklicherweise noch im Schatten befindlichen Bühne organisiert. Die Betreiber der 30 Stände auf dem Hof und fünf Sanitäter, die vorsorglich mit einem Krankenwagen vor Ort waren, gesellten sich zu Gideon Joffe, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, die das »größte koschere Food-Festival in Europa« seit zwei Jahren organisiert, und Avi Toubiana. Er ist der Intendant der im September anstehenden Jüdischen Kulturtage, zu denen offiziell auch das Streetfood-Festival gehört.

Lange Schlange

Knapp zwei Stunden später war der Synagogeninnenhof bereits proppenvoll, während die Schlange der Wartenden an der Sicherheitsschleuse immer noch länger und länger wurde. An dieser kamen prominente Gäste wie Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, locker vorbei. Auch er wollte die Atmosphäre und das Kulturprogramm genießen. Dazu zählten neben einer »Show mit Hund« auch Jazz, Balalaika-Musik sowie Theateraufführungen und der Auftritt eines Kinderchors.

»Wir haben seit dem 7. Oktober überlegt: Kann man denn weiterhin die Kulturtage feiern?«, berichtet Joffe. »Nach längeren Diskussionen haben wir gesagt: Ok, wir halten die Fahne hoch. Wir zelebrieren die Lebensfreude, das Positive am Leben, und zeigen heute, wie vielfältig jüdisches Leben sein kann – insbesondere nachdem es in den letzten Monaten so unter Druck geraten ist.«

Unter Druck stehen in anderer Hinsicht auch die Veranstalter selbst. Der Grund: Gleich mehrere Sponsoren des Festivals sprangen ab.

Hohe Sicherheit

Selbst Tofu Bao, Bratwurst oder Hawaiian Poké Bowls können koscher sein. Dies wussten viele Besucher des dritten Streetfood-Festivals bereits, und zwar diejenigen, die bereits die ersten beiden Male dabei waren.

Dazu gehörte ein etwa 40-jähriger Mann aus Polen, der sich sichtlich wohl fühlte: »Wir polnischen Gemeindemitglieder kennen dieses Festival schon.« Sorgen um seine Sicherheit in Berlin mache er sich trotzdem: »Es gibt in Berlin viele Türken und Palästinenser, die uns hassen. Das heißt: Wir haben Angst. Bei diesem gut bewachten Festival müssen wir uns aber keine Sorgen machen.«

»Es ist schön, dass hier so viele Leute zusammenkommen«, freut sich ein Italiener, der in Berlin lebt. »Es gibt sogar einen türkischen Stand. Menschen sind generell gut, egal woher sie kommen oder welche Religion sie haben.«

Der Unterschied zum Leben außerhalb des Festivals: »Hier gibt es viel Sicherheit«, so der italienische Besucher. »In den vergangenen sechs Monaten bin ich in Berlin mehrfach angegriffen und angepöbelt worden. Einmal wurde ich gegen eine Wand gestoßen. Auf dem Festivalgelände ist es um einiges besser.«

Schwein im Streichelzoo

Eine Neuerung stellte der Streichelzoo dar, in dem sogar ein Hängebauchschwein und ein Lama präsentiert wurden. Für Erwachsene gab es ein Zelt mit der Aufschrift »Frag den Rabbi«: Rabbiner Elie Dues vom Rabbinerseminar in Potsdam beantwortete gegen Mittag Fragen von interessierten Besuchern: »Ist das Judentum ein Volk oder eine Religion?« war eine davon, »Was hat das Judentum zu sagen, wenn es um die Überwindung einer Trennung geht?« eine andere. Eine Besucherin hatte eine besondere Bitte an Dues: »Erzählen Sie mir die schönste Geschichte aus der Tora.«

Auf große Resonanz stieß auch die Idee, Spezialitäten der ukrainischen Küche anzubieten, darunter Wareniki – gefüllte Teigtaschen, die ebenso zart wie schmackhaft ausfielen. Mehr als lecker waren auch die Salate und das Sushi.

Für die Jüdischen Kulturtage wurde auf dem Streetfood-Festival die Werbetrommel geschlagen. Bereits jetzt kann man sich auf Auftritte der Sängerin Shiri Maimon sowie des Musikers David Broza freuen, die beide aus Israel kommen. Aber auch der amerikanische Comedian Elon Gold wird dann erwartet.

Mit dem Koscheren Streetfood-Festival wurden offiziell die Jüdischen Kulturtage eingeläutet (12. bis zum 22. September).

Interreligiöser Dialog

»Jede Klasse ist da sehr verschieden«

Muslime und Juden gehen im Rahmen des Projekts »Meet2Respect« gemeinsam an Berliner Schulen

 05.10.2024

Studie

»Andere sehen diesen Schmerz nicht« 

Für viele Jüdinnen und Juden ist der Anschlag der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober eine Zäsur

 05.10.2024

Feiertage

Chatima towa, oder was?

Was von Rosch Haschana über Jom Kippur bis Sukkot die korrekte Grußformel ist

von Rabbiner Yaacov Zinvirt  02.10.2024 Aktualisiert

"Heritage Bites"

Apfel-Honig-Donuts: Süßer Twist für Rosch Haschana

Das perfekte Fingerfood für Neujahr? Honig-Apfel-Donuts

von Hannah Brojtmann  02.10.2024

Rosch Haschana

Geballte Frauenpower zum neuen Jahr!

Wer sind die feministischen Größen im Judentum?

von Chiara Lipp  02.10.2024

Jüdischkeit

Alle Jahre wieder: Bin ich jüdisch genug?

»Da ich fern von jüdischer Religion aufwuchs, gab es viele Dinge, die ich nicht verstand«

von Lien Droste  02.10.2024

Bilanz

Jüdische Sozialarbeit nach 7. Oktober massiv beeinträchtigt

Der Wohlfahrtsverband forderte, soziale Räume des Alltags in Deutschland für Juden sicher zu machen

 02.10.2024

Israel / München

Trauer um Holocaust-Überlebenden Daniel Chanoch

Daniel Chanoch durchlitt als Junge eine Odyssee durch sechs Konzentrationslager - und überlebte. Bis ins hohe Alter engagierte er sich in der Erinnerungsarbeit. Nun starb der Zeitzeuge mit 92 Jahren in Israel

 02.10.2024

Köln

Abraham Lehrer: Juden wünschen sich Solidarität

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden: Kritik an Israel steht im Vordergrund

 02.10.2024