Frau Lahnstein-Kandel, die Uni Haifa und der Deutsche Fördererkreis feiern ihr 50-jähriges Bestehen. Was können Sie über die Anfänge der Universität sagen?
Als die Universität Haifa gegründet wurde, gab es ja schon die anderen großen Hochschulen in Israel, die sich auf die Hotspots Jerusalem und Tel Aviv konzentrierten. In Haifa gab es nur das Technion, das sehr alt ist. Viele Nobelpreisträger aus der Physik kommen dort her. Aber es ist eben rein naturwissenschaftlich. Dadurch entstand ein großes Bedürfnis nach einer neuen Universität, die sich den Gesellschaftswissenschaften zuwendet. Im Laufe der Jahre hat sich die Uni Haifa dann auch zu einer sehr naturwissenschaftlich geprägten Uni entwickelt. Das Wichtigste war aber, den Norden abzudecken und einen einmaligen Begegnungsort zu schaffen.
Die Universität Haifa bildet das ganze Spektrum der israelischen Gesellschaft ab. Welche Rolle spielt ein solcher Ort bei der Überwindung von Differenzen?
In der ersten Stipendienverleihung des Werner Otto Programms waren die arabischen Frauen, die diese Stipendien erhielten, noch sehr unter dem Daumen ihrer Brüder oder Väter. Als sie dann auf die Bühne kamen, waren sie so stolz. Und im Publikum saßen die Familien. Von einer jungen Frau saß der Ehemann da, mit einem Baby auf dem Arm, und er weinte. Das war für mich ein Zeichen dafür, wie sich die Dinge wandeln können. Da steht eine Frau stolz wie Oskar auf der Bühne und bekommt eine Auszeichnung. Sie kann ihren Doktor machen, und der Mann ist in dieser Zeit der Babysitter. Das war so ein Bild, das ich nie vergessen werde.
Wenn sich ein junger Mensch für die Uni Haifa interessiert, was erzählen Sie ihm?
Es gibt ja unglaubliche Umbrüche und auch Gefahren, die mit der neuen Regierung kommen, aber die Universität Haifa ist die Personifizierung der Unabhängigkeitserklärung. Ich sage immer: Wollt ihr einen geschützten Raum mit Chancengleichheit und akademischer Exzellenz erleben? Dann kommt nach Haifa! Ich kenne keinen anderen Ort auf Erden, wo so viele Juden, Muslime und Christen jeden Tag zusammenkommen. Man sagt ja, in Haifa ist weder Mohammed noch Jesus je gewesen. Insofern herrscht dort Toleranz. Und es geht auch um ganz sinnliche Dinge, wie die Schönheit der Landschaft, das Meer, diese wunderbare Stimmung.
Was macht die Universität heute als Wissenschaftsstandort interessant?
Die Universität hat einige Bereiche mit sogenannten Exzellenzzentren. In Haifa sind es ganz klar die Meeresforschung in allen Ausprägungen und die Security Studies. Beim Osloer Prozess waren zum Beispiel Wissenschaftler von der Universität Haifa bei der Entwicklung dieser Oslo-Akte dabei. Außerdem sind wir die Nummer eins in Israel im Fachbereich Soziale Arbeit.
Vor welchen Hürden steht die Universität, und wie helfen Sie als Förderkreis?
Die Universität kann nicht nur von staatlicher Finanzierung leben. Das heißt, dass man immer stärker Drittmittel braucht. Israel erhält ja viel Unterstützung aus der Diaspora. Aber die erreicht die Uni Haifa nicht so stark, weil sie ein wenig als arabische Universität verschrien ist. Vielen konservativen jüdischen Kreisen geht es vorwiegend um die Förderung des Judentums. Darum geht es mir ja auch. Ich bin ja auch Jüdin. Aber wir haben uns eben der Diversität verschrieben. Unser Programm für arabische Studierende, insbesondere Frauen, wird von sonst niemandem finanziert. Und natürlich gibt es auch interne Hürden, denn die Studentenschaft ist, von stramm kommunistisch bis konservativ, sehr vielfältig.
Mit der Vorstandsvorsitzenden des Deutschen Fördererkreises der Universität Haifa sprach Lilly Wolter. Sonja Lahnstein-Kandel wurde 2017 von der Hochschule mit einem Ehrendoktortitel gewürdigt.