Frau Glidden, wie geht es Ihnen gerade mit den politischen Entwicklungen in den USA?
In den vergangenen Wochen ist so viel passiert. Ich habe angefangen, kleine Comics zu malen, um das, was ich tagtäglich erlebe, zu dokumentieren. So kann ich besser damit umgehen. Wenn ich zum Beispiel die Nachrichten sehe, mache ich mir kleine Notizen von den Geschehnissen, den Namen und verarbeite das dann in kleinen Zeichnungen. Ich möchte dabei helfen, den Menschen die teils verwirrenden Nachrichten etwas besser – vielleicht auch klarer – zu vermitteln. Es fällt allgemein schwer, Dinge zu verarbeiten, wenn man den Zusammenhang nicht kennt.
Sie haben im Oktober vergangenen Jahres Ihr Buch »Im Schatten des Krieges – Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei« herausgebracht. Worum geht es darin?
Meine Ausgangsfrage war eigentlich: Wie funktioniert Journalismus? Ich habe von jeher Nachrichten verfolgt, höre Radio, aber wie Reporter ihren Job machen, wie sie Interviews finden und mit Menschen reden, deren Sprache sie nicht sprechen, das wollte ich immer schon herausfinden. Einige meiner engsten Freunde sind Journalisten, und sie habe ich gefragt, ob ich sie einmal auf einer ihrer Reisen für eine Reportage begleiten und ihre Arbeit dokumentieren könne.
Wohin führte Sie die Reise?
In der zweiten Jahreshälfte von 2010 fuhr ich mit den Journalisten in den Nord-Irak, in die Türkei und nach Syrien. Ich war immer ihr Schatten und habe sie beim Arbeiten beobachtet. Wir haben uns auf die Menschen fokussiert, die wegen des Krieges in Irak ihre Heimat verlassen mussten. Ein Freund eines Journalisten, der als Marine-Soldat im Irak gekämpft hatte, hat uns begleitet. Auf diese Weise konnte er die Gegend so wahrnehmen, wie er sie als Soldat nicht gesehen hatte.
Wie haben Sie diese Länder kennengelernt?
Es war damals ganz anders. In Syrien gab es beispielsweise noch keinen Krieg. Wir waren die ganze Zeit in Damaskus. Die Stadt war eine der meistbesuchten Städte der Welt. Sie ist sehr alt, es gab jede Menge Touristen. Viele Menschen kamen nach Damaskus, um Arabisch zu lernen. Es war eine sehr weltoffene Stadt: Christen und Juden lebten zusammen. In den USA galt Syrien lange Zeit als eines der Länder der »Achse des Bösen«. Das Land dann kennenzulernen, war für mich eine großartige Erfahrung.
Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute Nachrichten aus Syrien hören?
Es ist sehr tragisch und bricht mir immer wieder das Herz. Damals wirkte es wie ein sehr stabiler Ort.
Welche Geschichten sind Ihnen begegnet?
Sehr traurige. Wir haben in Syrien mit irakischen Flüchtlingen gesprochen. Menschen, die wohl immer noch ihre Häuser hätten, wenn mein Land dort nicht Krieg geführt hätte. Die Geschichten der Menschen zu hören, tut weh. Schlimmer aber ist es für die Geflüchteten, zu denen diese Geschichten gehören. Man ist schrecklich gebannt von dem, was sie erzählen. Ich habe einfach nur zugehört.
Gab es irgendeine Möglichkeit, mit den Menschen, die Sie getroffen haben, in Kontakt zu bleiben?
Ja, mit einigen. Wir haben mit verschiedenen jungen Flüchtlingen gesprochen, die auf ihre Aussiedlung in die USA oder nach Kanada gewartet haben. Vielen von ihnen gelang die Ausreise. Mit einem jungen Paar, das jetzt in Vancouver lebt, bin ich noch in Kontakt. Und mit einem anderen Paar, das aus dem Iran geflüchtet ist, auch. Sie leben heute in Washington D.C. Andere sind entweder nach Europa gegangen oder woanders hin. Sie sind überallhin verstreut.
Sie nehmen in wenigen Tagen an einem Panel im Jüdischen Museum in Frankfurt am Main teil, auf dem Sie über die Graphic Novel sprechen. Wie kann dieses Genre helfen, schwierige Themen zu vermitteln?
Vielleicht sind einige Leser von Nachrichten, die etwas komplexer sind, eingeschüchtert. Frei nach dem Motto: Ich möchte lieber nichts über Flüchtlinge lesen, das ist bestimmt deprimierend. Meine Hoffnung ist, dass ich durch meine Comics, durch Farben und Zeichnungen, diese Menschen an die Themen heranführen kann. Ich würde mir wünschen, dass man mithilfe einer Graphic Novel beispielsweise eine Verbindung zu Flüchtlingen aufbauen kann und Artikel dazu liest. Comics können am Anfang stehen, wenn man sich mit einem schwierigen Thema beschäftigen möchte.
Welche Entwicklungen beobachten Sie bei den Graphic Novels, die zu Themen wie Schoa oder zu Flüchtlingen entstehen?
Nun, es ist ein gewöhnliches Format, aber das heißt noch lange nicht, dass es für alle normal ist. Es gibt zu fast jedem Thema einen Comic. Einer der ersten großen nicht-fiktionalen Comics war »Maus« von Art Spiegelman, das Ende der 80er-Jahre herauskam. Aber viele Menschen denken bei Comics immer noch an Superhelden und die lustigen Zeichnungen für Zeitungen. Wir versuchen, Menschen davon zu überzeugen, dass auch Comics ernste Themen behandeln können. In den USA gibt es so viele Comic-Zeichner wie niemals zuvor. Wir haben aber noch einen langen Weg vor uns – besonders, was den journalistischen Comic angeht.
Welche Herausforderungen gibt es für diese Art des Comics?
Jeder Comic-Journalist ist sehr darauf bedacht, dass seine Arbeit integer angefertigt ist, dass die Arbeitsethik gut ist, alle Quellen genannt werden, dass nichts erfunden ist. Wenn wir ernst genommen werden wollen, müssen wir uns selbst ernst nehmen. Das bedeutet auch viel Arbeit.
Sie haben 2010 mit Ihrem Comic »Israel verstehen – in 60 Tagen oder weniger« angefangen. Welche Reaktionen haben Sie auf das Buch bekommen?
Eigentlich ganz gute. Ich war selbst ein wenig überrascht, weil ich nicht wusste, ob sich überhaupt jemand dafür interessieren würde. Und ich hatte auch ein paar Befürchtungen, wie jüdische Organisationen reagieren würden. Meine Erfahrungen in den USA bis dahin haben gezeigt: Wer Israel kritisiert, von dem hieß es, er sei ein selbsthassender Jude. Aber ich habe viel Unterstützung von anderen jüdischen Lesern bekommen, von jüdischen Organisationen, die mir sagten: Mir geht es genauso – auch ich habe viele Fragen und mache mir Sorgen. Ich hatte vielleicht auch ein gewisses stereotypes Bild von den Menschen im Kopf, die nicht so viele Sachen infrage stellen oder hinterfragen. Rechts- und Linksgerichtete haben mich kritisiert. Die Linken meinten, ich sei mit Israel zu soft umgegangen, die Rechten sagten, ich würde das Land in Verruf bringen.
Sarah Glidden: »Im Schatten des Krieges – Reportagen aus Syrien, dem Irak und der Türkei«. Aus dem Englischen von Ulrich Pröfrock. Reprodukt, Berlin 2016, 304 S., 29 Euro
www.sarahglidden.com
www.instagram.com/sarahglidden
www.reprodukt.com
Sarah Glidden ist auf Lesereise:
www.facebook.com/events/1282809771797833
www.facebook.com/events/165622200595551