Thomas Meyer

»Wir brauchen mehr ›wir‹ und weniger ›die‹«

Thomas Meyer Foto: dpa

Der Schweizer Autor Thomas Meyer hält den Umgang der Deutschen mit Antisemitismus für trügerisch. Zwar stelle man sich mutig der Geschichte, sagte Meyer der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (Mittwoch) im Interview. Deutsche Schüler wüchsen jedoch häufig »mit dem Gefühl auf, man hat mir das so eingebrannt, ich bin gar nicht mehr in der Lage, etwas Schlechtes zu denken oder gar zu tun«.

Trotzdem schauten viele bei Antisemitismus gerne weg oder fänden: »Jetzt ist aber gut. Gut ist es aber erst, wenn alle Juden und Jüdinnen der Welt sich einig sind, dass wir nicht mehr über Antisemitismus reden müssen. Und davon sind wir doch noch ein bisschen entfernt.«

versöhnlich In seinem in diesem Jahr erschienenen Buch Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein? beschäftigt sich der Sohn eines christlichen Vaters und einer jüdischen Mutter mit Formen des alltäglichen Antisemitismus. »Ich wollte etwas Versöhnliches schreiben, das sagt, du hast problematische Brocken in dir, das macht aber nichts, ich habe sie auch«, so Müller.

»Von 500 Fällen mit antisemitischen Äußerungen und meinem Widerstand haben zwei zu Einsicht geführt.«

Thomas Meyer

»Wenn wir etwas verbessern wollen, müssen wir ehrlich sein mit uns selbst. Wir müssen uns bewusst machen, dass Dinge, die wir als Fakten herumschleudern, keine sind.« Diskriminierende und rassistische Entgleisungen habe er nie von Leuten gehört, die mit sich selbst im Reinen waren, so Meyer.

ausgegrenzt Als einen Ausweg aus Antisemitismus und Ausgrenzung sieht der Schriftsteller die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls. »Ich bin überzeugt, wir brauchen mehr ›wir‹ und weniger ›die‹.« Ausgrenzung führe bei den Ausgrenzenden zu einer falschen Selbstüberzeugung und »bei den Ausgegrenzten zu einem beschissenen Lebensgefühl. Es gibt dann wir und die. Ich nehme an, in der Urgeschichte war das für unser Überleben wichtig. Vermutlich steckt das immer noch in uns drin. Aber es ist heute wirklich nicht mehr nötig.«

Er glaube weiterhin daran, dass Gespräche dabei helfen können. »Von 500 Fällen mit antisemitischen Äußerungen und meinem Widerstand haben zwei zu Einsicht geführt. Das ist natürlich eine ganz schlechte Quote. Aber wenn ich nicht hoffe, dass es anders läuft, kann ich auch gleich aufgeben.« kna

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