Der Umstand, dass kein Jude im Expertenkreis Antisemitismus der Bundesregierung vertreten ist, hat im In- und Ausland für Aufsehen und Kritik gesorgt. Nun wird die Zusammensetzung des Gremiums wohl nachgebessert.
Wie kaum ein anderer Politiker in Deutschland setzt sich Volker Beck (Grüne) für die Solidarität mit Juden und Israel ein. Beck war an der Entscheidung beteiligt, welche Personen im Expertenkreis Antisemitismus, den der Bundestag und das Bundesinnenministerium gemeinsam eingesetzt haben, vertreten sind.
Für ihn stellt es sich im Rückblick als Fehler dar, dass kein jüdisches Mitglied eingeladen wurde: »Das Problem war, dass wir uns als Abgeordnete alle gewünscht haben, Praktiker im Expertenkreis zu haben. Dass da kein Jude dabei war, hatten wir alle nicht auf dem Schirm. Die Perspektive der Juden, die ja die Opfer des Antisemitismus sind, gehört da natürlich rein.« Beck hofft, dass sich in der kommenden Sitzungswoche die Fraktionen darauf verständigen, die Kommission zu ergänzen.
wohlwollend Auch im Bundesinnenministerium ist man mit einem Expertenkreis Antisemitismus ohne einen einzigen Juden nicht glücklich. »Die Kritik hat unser Gehör gefunden. Wir sind in Gesprächen und guter Dinge, den Kreis erweitern zu können«, sagte eine Sprecherin des Ministeriums der Jüdischen Allgemeinen. Der Wunsch jüdischer Verbände, den Kreis zu erweitern, werde »ergebnisoffen und sehr wohlwollend« geprüft.
Das Umdenken hat gute Gründe: Weltweit sorgte die Entscheidung, eine Kommission zum Thema Antisemitismus ohne Juden einzusetzen, für Aufmerksamkeit. Ob in Washington Post, The Guardian oder Ynetnews – die Ignoranz von Bundestag und Bundesinnenministerium wurde mit Unverständnis aufgenommen. Die erste Reaktion des Innenministeriums auf die Kritik sorgte nicht für Abhilfe: Man habe den Expertenkreis nach Qualifikation und nicht nach Religionszugehörigkeit zusammengesetzt, aber die Meinung jüdischer Organisationen werde im Laufe der Arbeit des Expertenkreises Gehör finden, hieß es.
Fachmann Ungewöhnlich bleibt die Entscheidung so oder so. Am britischen Bericht »Government Action on Antisemitism« des Department for Communities and Local Government haben selbstverständlich Juden mitgearbeitet. Und auch im vergangenen Expertenkreis war mit dem Historiker Julius Schoeps ein jüdischer Fachmann dabei.
Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, gehörte zu den Kritikern der Zusammensetzung des Expertenkreises: »Da hat sicher niemand gesagt, ›Da kommen jetzt keine Juden rein‹, aber diejenigen, die über die Angehörigen des Expertenkreises zu bestimmen hatten, sind einfach nicht von den Bedürfnissen derjenigen ausgegangen, die von Antisemitismus betroffen sind: den Juden.«
Qualifiziert Kahane ist sich ohnehin nicht sicher, welchen Sinn die Neuauflage des Expertenkreises hat: »Der letzte unabhängige Expertenkreis Antisemitismus hat seinen Bericht 2011 vorgelegt. Umgesetzt wurde davon nichts.« Außerdem bezweifelt Kahane, ob es jetzt noch sinnvoll ist, einen Juden in den Expertenkreis aufzunehmen: »Das Bundesinnenministerium hat ja erklärt, die Kommission sei nach Qualifikation zusammengestellt worden. Wer jetzt noch dazukommt, ist nach dieser Logik beim ersten Anlauf nicht qualifiziert gewesen.«
Volker Beck sieht das anders: »Wir alle haben einen Fehler gemacht, den es jetzt zu korrigieren gilt, und dann muss der Rat seine Arbeit aufnehmen. Bei aller Kritik: Der Expertenkreis ist wichtig, weil das Thema Antisemitismus wichtig ist. Ohne die Kommission besteht die Gefahr, dass es von der Tagesordnung der Politik verschwindet. Ich will nicht, dass wir das Thema Antisemitismus aufgeben. Deswegen haben wir ja 2013 beschlossen, einen neuen Expertenkreis einzusetzen.«
Die Jüdische Allgemeine hat zu dem Thema auch bei allen Mitgliedern des Expertenkreises nachgefragt, wie sie dessen Zusammensetzung einschätzen und ob sie die Kritik daran angemessen finden. Geantwortet hat bisher niemand.