Herr Greenwald, wann haben Sie sich zuletzt dabei ertappt, Vorurteile zu haben?
(lacht) Das wird peinlich für mich. Wie viele Leser hat Ihre Zeitung noch mal? Im Ernst: Ich habe vergangene Woche eine junge und zugegebenermaßen sehr attraktive Frau auf dem Campus kennengelernt. Als sich im Laufe des Gesprächs herausstellte, dass sie eine erfolgreiche Managerin ist, war ich im ersten Moment überrascht. Als wenn es ein Gegensatz wäre, sowohl weiblich und schön als auch intelligent und beruflich ambitioniert zu sein.
In Ihrem aktuellen Bestseller »Vorurteile« schreiben Sie, dass mehr als 80 Prozent aller Menschen Ressentiments haben. Warum denken wir in diesen Kategorien?
Weil kaum jemand in der Lage ist, seine Prägungen abzulegen. Ganz gleich, ob es um Geschlecht, Hautfarbe oder Religion geht. Wir gehen immer davon aus, dass wir unsere Einstellungen kennen, dass unser Ich – mit Freud gesprochen – Herr im eigenen Haus ist. Dass wir in der Lage sind, anderen Menschen fair und unvoreingenommen zu begegnen. Aber das ist Bullshit – auch wenn viele Menschen oft bewusst oder unbewusst nur das sozial Erwünschte antworten, wenn man sie etwa nach Juden oder Homosexuellen fragt. Wir alle haben unsere blinden Flecken.
Sie haben ein Testverfahren entwickelt, um diese geheimen Vorbehalte sichtbar zu machen. Wie funktioniert das Experiment?
Der »Implizite Assoziationstest« dringt in unser Unbewusstes und bringt so Ressentiments gegen soziale Gruppen ans Licht. Dazu sehen die Probanden am Computer eine schnelle Abfolge positiver und negativer Wörter. Diese Begriffe müssen sie per Knopfdruck so schnell wie möglich Gruppen wie Juden oder Schwarzen zuordnen. Ihre Reaktionszeit wird dabei genau gemessen. Wenn jemand signifikant mehr Zeit braucht, um positive Begriffe für eine bestimmte soziale Gruppe zu finden als für eine andere, so hat er mit hoher Wahrscheinlichkeit versteckte Vorurteile gegen sie.
Was haben Ihre Studien zu Ressentiments gegen Juden ergeben?
Ich habe vor Jahren Probanden gefragt, ob sie Eigenschaften wie »gerissen« und »habgierig« oder eher »stolz« und »freimütig« mit Juden verbinden. Letzteres war der Fall. Der Assoziationstest wies jedoch nach, dass sie die erste Gruppe von Eigenschaften als typisch jüdisch ansahen. Der Antisemitismus hat bekanntlich immer noch Hochkonjunktur.
Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?
Es haben auch viele jüdische Probanden am Test teilgenommen. Wie man vielleicht aus eigener Erfahrung weiß, hegen auch wir Juden Ressentiments gegen andere – etwa gegen Muslime und Konvertiten. Oder denken sie nur an die Spannungen zwischen Aschkenasen und Sefarden. Ich dachte, wir seien vor Vorurteilen mehr geschützt als andere, weil wir Jahrtausende darunter gelitten haben – ein Trugschluss.
Mit dem Sozialpsychologen und Autor sprach Philipp Peyman Engel.