Berlinale

»Wie zehn Städte in einer«

Die Komponistin Dascha Dauenhauer über ihre Heimatstadt, die Arbeit an »Golda« und das Filmfestival

von Katrin Richter  15.02.2025 19:38 Uhr

Kam als Siebenjährige von Moskau nach Berlin und wuchs in Lichtenberg auf: Dascha Dauenhauer (35) Foto: Marcus Hoehn

Die Komponistin Dascha Dauenhauer über ihre Heimatstadt, die Arbeit an »Golda« und das Filmfestival

von Katrin Richter  15.02.2025 19:38 Uhr

Ist das eine Schreibmaschine, die sich in das Gespräch zwischen dem beharrlichen Cello und der lockeren Violine drängelt? Immer wieder wird sie im Soundtrack zu Guy Nattivs Film »Golda« vorkommen. In »Borsch with Kissinger« ist sie der Rhythmus und unterstreicht die Intelligenz der Musik. Es ist nur eine der vielen Kompositionen, die Dascha Dauenhauer geschrieben hat. Die 35-Jährige spielt seit sehr jungen Jahren Klavier, ist studierte Komponistin und wurde mehrfach für ihr einzigartiges Werk ausgezeichnet.

Sie erschafft Melodien zu Filmen, die das Gesehene ganz neu erzählen. Zu Filmen wie »Eine Million Minuten« von Christopher Doll, »Evolution« von Kornél Mundruczó oder zu Serien wie »Der Schwarm« hat Dauenhauer die Musik komponiert. Auf der diesjährigen Berlinale sind zwei Filme zu sehen, die sie musikalisch umgesetzt hat: »No Beast, So Fierce« und »Islands«, zudem sitzt die Berlinerin in der Jury für die Berlinale Shorts.

Am vergangenen Donnerstag sitzt sie in ihrem Studio. Und weil sie Komponistin ist und in Berlin lebt, lautet die erste Frage …

Frau Dauenhauer, wie klingt Berlin für Sie?
Ganz unterschiedlich, das liebe ich so an Berlin. Es ist zwar eine Stadt, aber sie kommt mir vor wie zehn verschiedene Städte. Je nachdem, wohin man fährt, kann sie sehr ruhig und harmonisch klingen. Die Stadt kann aber auch sehr laut und dreckig klingen.

Gibt es einen Ort, der für Sie diesen Berlin-Sound wiedergibt?
Ich bin sehr oft am Hermannplatz. Wenn ich da ankomme, dann ist es für mich auf jeden Fall sehr Berlin. Aber es ist natürlich was ganz anderes, als wenn ich am Lietzensee bin oder durch den Park gehe. Und das macht Berlin eben auch aus, dass ich – je nach Stimmung und je nachdem, nach welcher Inspiration ich gerade suche – in einen bestimmten Stadtteil fahren kann und mich das komplette Gegenteil erwartet.

Sie sind in Lichtenberg aufgewachsen. Wie blicken Sie auf diesen Bezirk Ihrer Kindheit?
Ich war sehr lange nicht mehr da, aber damals während meiner Schulzeit 1995 war es kein so schönes Gefühl. Ich kam ja aus Moskau, konnte die deutsche Sprache nicht. Mitte der 90er-Jahre waren es auch andere Zeiten: Wir wurden nicht so offen empfangen – ich wünsche, hoffe oder glaube auch, dass sich das jetzt auf jeden Fall auch geändert hat.

War Ihre jüdische Herkunft damals ein Thema?
Wir haben es eher für uns behalten. Aber meine Oma hat es schon sehr geliebt. Wann immer sie gefragt wurde: »Bist du russisch? Bist du deutsch?«, hat sie geantwortet: »Ich bin jüdisch.« Aber sonst haben wir das nicht so an die große Glocke gehängt. Meine Mutter sagte immer eher, dass wir nicht darüber reden. Mit der Zeit ist dann auch vieles vielleicht ein wenig in Vergessenheit geraten. Ich habe jetzt eine Tochter, und ich versuche offener damit umzugehen. Zum Beispiel haben wir zum ersten Mal Chanukka gefeiert. Ich habe meiner Tochter ein bisschen erklärt, worum es geht, um ihr auch ein wenig über ihre Wurzeln zu erzählen.

Sie sitzen bei den Berlinale Shorts in der Jury. Was erwarten Sie?
Es ist eine große Verantwortung, und ich freue mich sehr, tolle Filme zu schauen. Bei der Berlinale dabei zu sein, ist auf jeden Fall eine große Ehre. Man kann eigentlich davon ausgehen, dass ganz tolles, auch viel europäisches Kino zu sehen sein wird. Ich liebe das europäische Kino.

Es ist nicht das erste Mal für Sie auf der Berlinale. Sie waren bereits mit »Golda« von Guy Nattiv dabei. Wie erinnern Sie sich an die Arbeit zu dem Film?
Es war total toll und eine ganz verrückte Geschichte. Guy schrieb mich auf Instagram an. Ich hatte schon von ihm gehört, aber ich dachte mir, das kann ja irgendwie nicht sein – so über Instagram. Es war natürlich ein Riesenprojekt mit Helen Mirren, die einfach eine Legende ist. Und auch das Thema an sich: Golda Meir! Für mich persönlich ist sie ein großes Vorbild. Sie war einfach eine sehr starke Frau, die auch wirklich viel bewirkt hat. Auch wenn sie bis heute sehr kontrovers gehandelt wird. Ich bin sehr dankbar, solche Filme generell machen zu können, weil damit auch eine intensive Recherche verbunden ist.

Was macht für Sie den Reiz an Ihrer Arbeit als Filmkomponistin aus?
Ich habe schon immer Filme und Musik geliebt. Das ist meine größte Inspirationsquelle. Auf der Musikebene noch einmal etwas zu erzählen, vielleicht etwas Psychologisches, manchmal auch gegen das Bild zu gehen, also eine andere Ebene aufzumachen, das ist es, was ich an meiner Arbeit liebe. Ganz wichtig ist für mich auch der Austausch mit der Regie, die Vision des anderen zu verstehen und dann in die Konzeptentwicklung zu gehen.

Haben Sie einen Film, zu dem Sie den Soundtrack gern selbst noch einmal geschrieben hätten?
Ich habe den Film »Schindlers Liste« zum Beispiel damals geliebt. Ich war zu dem Zeitpunkt sehr jung, aber er hat mich tief bewegt. Aus heutiger Sicht hätte ich die Musik dazu ein bisschen experimenteller gemacht. Ich wäre noch ein bisschen abstrakter geworden, hätte mit Collagen gearbeitet oder mit verschiedenen Spieltechniken. Natürlich muss man aber auch mit dem Thema respektvoll umgehen.

Hören Sie privat überhaupt Musik?
Ich arbeite manchmal zehn bis zwölf Stunden am Tag – je nach Deadline, und dann bin ich froh, wenn ich gar nichts höre.

Werden Sie Zeit haben, neben Ihrer Jury-Arbeit Filme auf der Berlinale zu sehen?
Ich glaube, dass ich das schaffe. Ich habe noch zwei Panels auf der Berlinale. Aber ich bin das Wettbewerbsprogramm durchgegangen und finde es ziemlich toll. Ich werde mir die europäischen Filme sicherlich später ansehen.

Mit der Berliner Komponistin sprach Katrin Richter.

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