»Sie würden eine Jüdin spielen, die in Ramallah mit einem Palästinenser zusammenlebt.« Das ist die Rollenbeschreibung. Ich sage ab. Wer will denn jetzt in Jordanien drehen? »Jordanien ist safe«, sagt die Produktionsleitung: für alle, auch für Juden.
Das Drehbuch ist auf Englisch, mein Sohn versteht es besser. Er sagt: »Na ja, es ist kompliziert, aber machʼs trotzdem. Eine offene Villa in Ramallah, wo alle Religionen und Nationalitäten ein- und ausgehen, das ist praktisch visionär. Außerdem siehst du Jordanien, das ist doch cool.«
Ich erwidere: »Das ist eine Utopie, keine Vision« und sage zu.
So lande ich in Amman, das auf den ersten Blick – ich hoffe, niemanden zu beleidigen – aussieht wie Jerusalem. Ja, Amman ist aus diesem hellen Stein gebaut, den ich für eine Besonderheit der Heiligen Stadt hielt. Sehr schön, auf mehreren Hügeln gelegen.
Alles irgendwie vertraut, nur auf der anderen Seite des Jordans
Alles irgendwie vertraut, nur auf der anderen Seite des Jordans. Knapp 104 Kilometer trennen die beiden Städte. Ich bin so neugierig, dass ich vergesse, Angst zu haben. Auch sind alle schrecklich freundlich, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, es herrscht Frieden auf der ganzen Welt.
Die Darsteller aus dem Westjordanland erzählen müde von Checkpoints und Kontrollen.
Trotzdem gut, dass meine Tante tot ist. Ich hätte ihr nicht beichten mögen, dass ich gerade in Amman drehe. »Ti puzza la salute«, dir stinkt wohl die Gesundheit, hätte sie geantwortet, nicht ganz zu Unrecht, dazu später mehr.
Zunächst einmal bin ich im Intercontinental Hotel untergebracht, das so aussieht wie unseres in der Budapester Straße in Berlin, allerdings mit Palmen und Außenpool. Es sind 28 Grad, ich liebe die Gerüche des Orients, fühle mich wie ein Expat zwischen Lobby und Pool.
Das Team am Drehort ist sehr professionell und freundlich, sie wissen hier, dass ich eine Jüdin bin (wir sind zwei jüdische Schauspielerinnen), der Rest sind palästinensische Kollegen, aber auch Schauspieler aus den USA und London.
Meinen Mann spielt ein bekannter palästinensischer Darsteller. Seine ganze Familie ist mit angereist, sie laden mich an ihren Tisch ein, wir frühstücken zusammen, das Experiment scheint aufzugehen, schreibe ich nach Berlin. Sie leben im Westjordanland, das um die Ecke liegt. Trotzdem haben sie Stunden gebraucht, um anzureisen, die vielen Checkpoints, Kontrollen, erzählen sie müde.
Die Sonne scheint auf »meine Villa in Ramallah«
Die Sonne scheint auf »meine Villa in Ramallah«, Vögel zwitschern in einer Voliere, ich serviere Datteln, Hummus und Tee, ich weiß, dass ich in Amman und nicht in Haifa bin, aber ich komme trotzdem durcheinander.
Ein bisschen unangenehm wird es erst, als ich im Drehbuch über einen Satz stolpere, der den Zionismus erklären soll: »Zionism is the fruit of a European way to label conquest.« (Zionismus ist das Resultat eines europäischen Wegs, Eroberung zu labeln.)
Ich sage, die Definition ist verkürzt und deswegen falsch, beginne bei der Jahrhundertwende, bewege mich vorsichtig zur Schoa, lande bei den russischen Einwanderern in Israel, versuche zu erklären, dass ich überhaupt nicht mit der Siedlungspolitik der israelischen Regierung einverstanden bin.
Man lächelt mich höflich an, der Satz bleibt, wie er ist. Kurz und antizionistisch. Hinter seiner Brille beobachtet mich mein Schauspieler-Ehemann traurig und sehr ernst. Der Regisseur aus der Schweiz schweigt. Er ist ja neutral …
»Zionismus ist Resultat eines europäischen Wegs, Eroberung zu labeln«, steht im Drehbuch.
Mein zweiter Drehtag fällt aus. Ich habe frei und fahre nach Petra, das wirklich ein Weltwunder ist. Eine Erfindung wie Venedig, nur nicht auf Wasser gebaut, dafür in Stein gemeißelt.
Mein amerikanischer Kollege begleitet mich. Wie es sich für einen jungen Amerikaner gehört, ist er voller Optimismus und guter Laune, wir haben Spaß in dieser Nekropolis, die gleichzeitig auch Akropolis ist. Das heißt, Tote und Lebende wohnten von etwa 500 v.d.Z. bis 300 danach gemeinsam in den Höhlen, zwischen den Säulen und Felsen. Das UNESCO-Weltkulturerbe ist seit dem 7. Oktober 2023 praktisch leer, Touristen wagen sich kaum noch in diese Region.
In der Wüste Wadi Rum sind wir allein mit einem Beduinen unterwegs. Hier hat schon Tom Cruise gedreht, erklärt uns dieser und serviert köstlichen Tee mit Kardamom, Zimt und Salbei.
Meinem amerikanischen Kollegen fällt auf der Suche nach Trinkgeld ein 50-Schekel-Schein aus dem Portemonnaie. Der fröhliche Amerikaner wird blass, der junge Beduine rot. Das Eis ist dünn, denke ich mir.
Wir drehen fleißig weiter, bis Hassan Nasrallah bei einem Luftangriff getötet wird
Wir drehen fleißig weiter, bis Hassan Nasrallah bei einem Luftangriff auf das Hauptquartier der Hisbollah getötet wird. Die Stimmung kippt nicht sofort, aber das Eis wird noch dünner. Mein Taxifahrer, ein Jordanier, sagt: Endlich! Wir Jordanier mögen die Hisbollah nicht. Wir sind auch keine Fans der Israelis, aber das war eine gute Tat!
Am Drehort spürt man die Nervosität. Um die Voliere schleichen drei Katzen und maunzen, weil sie nicht an ihre Beute kommen.
Die Augen meines palästinensischen Kollegen sind ganz klein. Er hat die Nacht nicht geschlafen, sein ganzer Gesichtsausdruck ist angespannt. Er schaut mich beim Spielen nicht mehr an, spricht nur noch über mich hinweg.
Sehr leise erzählt er, wie seine Familie vertrieben wurde, wie sein Dorf immer wieder dem Erdboden gleichgemacht wurde. Er kann es mir nicht vorwerfen, tut es aber doch. Ich sage: »Sorry. I know.« Wir drehen weiter, aber irgendwie nur noch neben- und nicht mehr miteinander.
Beim Abendessen stammele ich: »But the Hisbollah is a terrorist organisation. The Hamas …« »Maybe. But it was time to kill our occupiers!« (»Es war Zeit, unsere Besatzer zu töten!«), antwortet er kaum hörbar.
Ich schweige und höre das Eis unter mir brechen. Wie naiv war ich? Dachte ich wirklich, ich komme hierher, drehe ein paar Tage und der Weltfrieden ist wiederhergestellt? Was für eine Hybris!
Die junge palästinensische Sängerin weint. Sie ist über Umwege und unter Beschuss aus Haifa zum Drehort gekommen. Sie hat Angst um ihre Familie, die noch in Haifa ist, sie zählt auf, wer alles tot ist aus ihrer Familie. Sie hat in Berlin Musik studiert, da will sie wieder hin.
Ich tröste sie, lade sie nach Schöneberg zum Abendessen ein. Wenn alles vorbei ist … Ich bin so hilflos wie sie.
Meine Garderobiere kommt aus einem palästinensischen Flüchtlingscamp
Meine Garderobiere kommt aus einem palästinensischen Flüchtlingscamp, in das sie abends zurückgeht. Sie ist dünn, raucht Kette und hängt am Handy. Ich bringe sie zum Lachen und zum Essen. Dann schauen wir in das Tal und hören Musik. Ich würde maßlos untertreiben, wenn ich die Situation mit ambivalent umschreiben würde. Aussichtslos trifft es eher.
Wieder habe ich einen Tag frei. Ich nehme mir die alte römische Stadt vor, Jerasch, das antike Gerasa, nur 45 Minuten von Amman entfernt. Der Ort ist magisch, ich gehe, wieder allein, ohne andere Touristen, zwei Stunden durch eine wunderbar erhaltene römische Siedlung mit fünf Bädern und Thermen, zwei riesigen Theatern und unendlich vielen erhaltenen Säulen, Gängen und Straßen.
»It was time to kill our occupiers!«, sagt ein palästinensischer Kollege kaum hörbar.
45 Minuten hin und 45 Minuten zurück erklärt mir mein Chauffeur, wie sehr er die Israelis verabscheut. Sie hätten den Jordan stillgelegt, sodass man in Jordanien keine Orangen pflanzen könne. Sie sind böse, sie hassen alle, und alle hassen sie!
Auf der Rückfahrt sind aus den Israelis Juden geworden. Das hartnäckigste Narrativ ist: Sie kamen nach dem Holocaust nach Palästina. Wir nahmen sie auf. Sie nahmen unsere Wohnzimmer, wir wohnen jetzt in der Garage. Ich oute mich vor ihm nicht als Jüdin, aber ob ich ihm Trinkgeld geben werde …?
Als ich am Abend auf der Terrasse der Filmakademie stehe, ist der Himmel erleuchtet. Ein Feuerwerk? Aus dem Iran? Ich habe noch nie Raketen gesehen. Und so nah! Man hört sie einschlagen, man sieht sie in der Luft explodieren. Als die Muezzins aufhören zu singen, hört man den Jubel aus der Stadt. Am nächsten Morgen werden wir ausgeflogen.
Es ist Rosch Haschana, in der Synagoge in Berlin sind wenige Menschen, die Stimmung ist verhalten und ernst. Meine Söhne haben gekocht, wir feiern mit ihren Freunden, tunken Äpfel in Honig, so der Brauch. Auf ein süßes neues Jahr! Muss das Utopie bleiben?
Inzwischen ist Januar, und auch das bürgerliche neue Jahr hat angefangen.
Der Film wurde zu Ende gedreht, ich aber war abgedreht und bin nicht nochmal nach Jordanien gefahren.
Was soll ich sagen? Vom Frieden sind wir weit entfernt. Auch gibt es noch keine überzeugende Vision. Das ist schwer auszuhalten. Ich wünsche mir, dass ich und meine Kinder irgendwann auf mehr hoffen können als auf eine Utopie.