»Ich bin Jude. Was bedeutet das?« Mit dieser Frage im Gepäck reist der frühere Studentenführer und Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit nach Israel. Daraus ist der Dokumentarfilm »Wir sind alle deutsche Juden« von Regisseur Niko Apel, Stiefsohn von Cohn-Bendit, geworden.
Seiner Frage nähert sich Cohn-Bendit zwar mit Impulsen aus den Gesprächen, die er in Israel führt - am Ende scheint er Antworten aber doch eher in Deutschland zu finden. Bei seiner Familie in Frankfurt am Main. Der Film läuft heute um 23.35 Uhr im Ersten und wird von nun an auch in der ARD-Mediathek gezeigt.
Man kann die Doku aus Interesse am Suchen von Cohn-Bendit schauen. Seine politische Biografie spielt kaum eine Rolle, auch nicht seine früheren Äußerungen zu Pädophilie. Was den Film aber vor allem sehenswert macht, sind der Streifzug durch Israel und die Worte von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zu Zuschreibungen, Religion, Identität, Diskriminierung. Je nach Sichtweise kann man die Gespräche als Unterstützung für Cohn-Bendit betrachten, seinem Judentum auf die Spur zu kommen. Oder als eigentliches Thema.
Den Rahmen bildet Cohn-Bendits Familiengeschichte. Zu Beginn wendet er sich an seine verstorbene Mutter: »Maman, durch dich bin ich Jude. Dir habe ich den ganzen Schlamassel zu verdanken.« Sie habe das Judentum intensiv gelebt, ohne besonders religiös gewesen zu sein. Er selbst wisse im Alter von über 70 Jahren immer noch nicht, was das sei: »mein Judentum«. 1933 flohen seine Eltern vor den Nationalsozialisten aus Berlin nach Frankreich, wo Daniel und sein älterer Bruder Gabriel geboren wurden.
Die Mutter wollte nach Israel übersiedeln, der Vater lehnte es ab, wie Daniel Cohn-Bendit erzählt. Nachdem er als 17-Jähriger Vollwaise geworden war, habe er bei seinem Bruder gelebt. Dieser sagt im Film: Es sind die anderen, die einem eine Identität zuschreiben - dagegen wehre er sich. Man wolle ihm »unterjubeln«, Jude zu sein. Daniel Cohn-Bendit ist im Gegensatz dazu der Ansicht: »Wir sind Juden, auch wenn ich nicht genau erklären kann, was es für mich bedeutet.«
In Israel sitzt Cohn-Bendit unter anderem mit einem aus Frankreich stammenden Paar zusammen. Seit 2000 wanderten wegen des grassierenden Antisemitismus rund 55.000 Menschen aus Frankreich nach Israel ein, so Cohn-Bendit. Er besucht eine Schule, in der Flüchtlingskinder unterrichtet werden. Ein Mädchen aus dem Kongo berichtet, sie und andere fühlten sich auf der Straße teils »angeglotzt wie ein Tier«. Cohn-Bendit dazu: »Wenn es um Geflüchtete geht, ist die israelische Gesellschaft leider keine Ausnahme.«
Er trifft die Siedlerin Laly, die sagt, sie könne verstehen, wenn Palästinenser abweisend auf Siedlungen reagierten, aber: »Es existiert keine perfekte Lösung in diesem Konflikt.« Stadtplaner Omar gibt in Jerusalem zu bedenken, dass der Krieg in den Rathäusern weitergehe.
Cohn-Bendit trifft die orthodoxe Jüdin Shalevet. Sie ist der Meinung, er habe sein Judentum abgeschnitten, weil seine Partnerin Nichtjüdin und ihr Sohn nach dem Religionsgesetz daher kein Jude ist. Mit jeder interkonfessionellen Ehe reduziere sich die Chance für das jüdische Volk, zu überleben. Dazu bemerkt Cohn-Bendit, das »Regelwerk der Orthodoxen« sei so frauenverachtend, das er gerne damit gebrochen habe.
Nach Auffassung der liberalen Rabbinerin Nava dagegen sind auch Nichtreligiöse Juden - so wie Cohn-Bendit. Und: »Es ist mein Land, so wie es das Land der Palästinenser ist. Wir haben das gleiche Land.« Der Film stellt ein Projekt vor, in dem Israelis und Palästinenser zusammenkommen, die im Nahostkonflikt ein enges Familienmitglied verloren haben.
Am Schluss zitiert Cohn-Bendit den Schriftsteller David Grossman: Ein Jude sei ein Mensch, der sich nirgends zu Hause fühle außer bei seinen Liebsten. Dann sitzt Cohn-Bendit im Kreis seiner Familie beim Essen - und sagt, dass er bald Großvater werde. Dem Nachwuchs gibt er schon jetzt auf den Weg: Du hast die Wahl!
Der Dokumentarfilm »Wir sind alle deutsche Juden« läuft heute um 23.35 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek.