»Wenn Sie etwas besonders Dummfes hören wollen«, sagte Marcel Reich-Ranicki einmal im Gespräch mit dieser Zeitung, »müssen Sie einen Künstler nur nach seiner politischen Meinung fragen.« Gemeint waren damals die politischen Einlassungen von Günter Grass (»Was gesagt werden muss«) und Martin Walser (Paulskirchenrede).
Seitdem hat besonders die israelfeindliche BDS-Bewegung viel dafür getan, die Richtigkeit von Reich-Ranickis Aphorismus zu belegen. Roger Waters oder Kate Tempest lassen kaum eine Gelegenheit aus, bei Auftritten gegen die angeblich »unterdrückerische Kolonialmacht« Israel zu Felde zu ziehen. Waters wirft dem jüdischen Staat gar vor, den Arabern das Gleiche anzutun wie Nazideutschland den Juden.
Proteste Nun ist es mit apodiktischen Urteilen wie dem von Marcel Reich-Ranicki trotzdem so eine Sache. Finden sich doch genügend andere Aussagen von Künstlern, die – auch und gerade mit Blick auf Israel – ebenso reflektiert wie fair sind. Etwa von Elton John, der trotz massiver Proteste von BDS nach Tel Aviv reiste und vor 50.000 begeisterten Zuschauern rief: »Nichts kann uns davon abhalten, hierherzukommen.«
Ebenjene Kontroverse, der Umgang des Kulturbetriebs mit Israel, stand im Zentrum der zweiten Tagung des »Netzwerks zur Erforschung und Bekämpfung des Antisemitismus« (NEBA) vergangene Woche in Berlin. Unter dem Motto »Kunst, Kultur und Judenhass?« diskutierten die Schauspielerin Adriana Altaras, der bildende Künstler Leon Kahane, die Filmfestivalchefin Nicola Galliner und die Sängerin Sandra Kreisler, wie weit Antisemitismus im Kulturbetrieb verbreitet ist.
Und gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion machte Sandra Kreisler klar, dass ihrer Erfahrung nach viele Künstler über keinerlei Wissen über Israel verfügen. »Zugleich aber hat jeder eine absolute Meinung. Dann fallen Wörter wie Apartheidstaat, Unterdrücker, Faschismus. Doch schon bei der kleinsten Nachfrage stehen die Kollegen ratlos da.«
Talkshows Mit eigener Ratlosigkeit hat nach eigenen Worten zuweilen Adriana Altaras zu kämpfen. Es komme vor, dass sie eine Einladung zur Talkshow von Markus Lanz zum Thema Nahostkonflikt erhalte, über das sie nicht sonderlich gut Bescheid wisse. Auf Nachfrage der Moderatorin Gabriela Hermer, wie sie auf solche Einladungen reagiere, sagte sie: »Ich rufe Michael Wolffsohn an und befehle ihm: Geh du da hin! Du machst das besser!«
Wenn die Schauspielerin bei Lesungen zum Antisemitismus befragt wird, gibt sie die Frage einfach an ihr Publikum zurück. »Ich sehe gar nicht ein, warum immer nur wir Juden uns um dieses Problem kümmern sollten.«
Von einer ausgesprochen unangenehmen Erfahrung berichtete Nicola Galliner. Die Chefin des Jüdischen Filmfestivals wurde vor einiger Zeit gebeten, für ihr Festival einen Kurator zu benennen, der für die Auswahl der Filme zuständig ist. Auf die Nachfrage, weshalb sie das tun sollte, sagte man ihr sinngemäß: »Nun, Sie selbst können ja nicht objektiv sein.« Ein solcher Doppelstandard sei unerträglich, sagte Galliner – aber leider nichts Ungewöhnliches.
Verrückte Der bildende Künstler Leon Kahane schloss daran eine ganz ähnliche Erfahrung an. Vor einiger Zeit saß der Berliner mit anderen Künstlern auf einem Podium, an dem offenkundig auch eine glühende BDS-Anhängerin teilnahm. Nach ihren ausschweifenden Ausführungen wies er sie darauf hin, dass etwa die Bezeichnung Israels als Apartheidstaat mehr als fragwürdig ist.
Daraufhin kritisierten die anderen Diskussionsteilnehmer ihn massiv. Der Tenor sei gewesen: Man wird doch wohl noch sagen dürfen ...! Letztendlich wurde ihm empfohlen, an weiteren Diskussionen zum Thema Israel nicht mehr teilzunehmen. »Machen Sie mal einem Verrückten klar, dass er verrückt ist«, fasste Kahane seine Erfahrung zusammen, die alles andere als eine Ausnahme darstellt. ja