Ljudmila Ulitzkaja

Wie eine alte Freundin

Die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja (79) Foto: imago images/ITAR-TASS

Den Tod lagert Alissa in der Schreibtischschublade, wo sonst. Die Tabletten hat sie von ihrem Ehemann zur Hochzeit geschenkt bekommen, einem Arzt, dem Alissa begegnet, eben, weil sie auf der Suche nach Tabletten ist: Sie ist einmal ohnmächtig geworden, nun möchte sie sichergehen, dass sie den Tod im Griff hat, alleine über ihn bestimmen kann.

Alissas Geschichte ist die namensgebende dieser Erzählsammlung, sie ist eine der vielen Protagonistinnen. Meist sind es Frauen, die Ljudmila Ulitzkaja für kurze Zeitspannen oder ganze Lebensabschnitte begleitet. Sie lieben und lieben nicht oder nicht mehr oder haben nicht gelernt zu lieben, sehnen sich, legen Sehnsüchte beiseite, verlieren Menschen und suchen sie erneut.

wanken Ljudmila Ulitzkaja stellt sich ihnen als Erzählerin an die Seite, als wäre sie eine alte Freundin. Setzt sich einfach dazu wie auf eine Tasse Kaffee, weiß alles, was war und was sein wird, was sie denken, auch was sie nicht zu erkennen vermögen, berichtet deren Leben, Wanken und Scheitern mit ihrem gewohnt detailgenauen, mal humorvollen, mal beinahe (aber niemals ganz) bösen Blick.

Die Frage, ob Literatur politisch ist oder sein muss, ist eine privilegierte Frage, sie stellt sich nicht in Diktaturen und Autokratien.

Zwei Schwestern, die sich erst nach dem Tod der gemeinsamen Mutter kennenlernen, eine junge Frau, die von ihrer Mutter mit einem irakischen Mathematiker verkuppelt wird, Lidija, die sich einen Schweizer angelt, um nach »Züü-rich« zu kommen, sie alle haben eines gemeinsam: eine souveräne Erzählerin an der Seite, die sie in- und auswendig kennt.

rücksicht Es gibt dieser Tage keine Möglichkeit, über die russische Autorin zu schreiben, ohne den Krieg, den Putin gegen die Ukraine führt, mitzudenken. Ljudmila Ulitzkaja gehört einer Gruppe von Schreibenden an, die sich bereits wenige Tage nach dem Angriff zu Wort gemeldet und sich gegen Putin gestellt haben, ohne Rücksicht darauf, was die öffentliche Äußerung für ihr Leben und Schreiben in Russland bedeutet.

Die Frage, ob Literatur politisch ist oder sein muss, ist eine privilegierte Frage, sie stellt sich nicht in Diktaturen und Autokratien. Die in diesem Band versammelten Erzählungen spielen zum Teil heute und zum Teil früher, zum Teil in Russland, der Sowjetunion, aber manchmal auch in einem anderen Land. Zumeist erzählen sie aber von Menschen, die von dem System Sowjetunion geprägt wurden, und können uns in diesen Tagen vielleicht helfen, den Krieg, dessen Auswirkungen und Reaktionen auf ihn zu verstehen.

Ljudmila Ulitzkaja: »Alissa kauft ihren Tod. Erzählungen«. Hanser, München 2022, 304 S., 25 €

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025