In einem offenen Brief wurde das Münchener Tollwood-Festival in diesem Juli dazu aufgefordert, die spanische Punkband Ska-P auszuladen. Deren Lied »Intifada« sei ein »Paradebeispiel für linken israelbezogenen Antisemitismus«, so der Wortlaut des Briefs. Die Band durfte dennoch spielen, nicht jedoch dieses Lied. Bei ihrer Liveshow reagierten die Spanier auf das Verbot. Auf einem großen Bildschirm forderten die Musiker das Publikum dazu auf, »Freedom, freedom for Palestina!« zu skandieren – mit Erfolg. Zudem waren Intifada-Rufe zu hören. Währenddessen schwenkte einer der Musiker mit zugeklebtem Mund eine riesige Palästina-Flagge.
INTIFADA Die zweite Intifada (2000 bis 2005) war eine religiös aufgeladene Kampagne von Selbstmordattentaten auf israelische Zivilisten. Dass sich ausgerechnet eine linke Punkband positiv auf diese bezieht, scheint widersprüchlich. Ska-P sind allerdings nicht die Einzigen, deren vermeintliche Solidarität mit Palästina zu Ende gedacht eine Bedrohung für Juden weltweit bedeutet.
Der Sammelband Judenhass Underground, herausgegeben von Nicholas Potter und Stefan Lauer, analysiert, wo, wie und warum israelfeindliche Positionen in einer vermeintlich emanzipatorischen Subkultur Fuß fassen können und wann diese in antisemitische Ressentiments umschlagen. In den Beiträgen werden die verschiedensten Subkulturen und Bewegungen beleuchtet. Eingeleitet werden diese durch Hintergrundtexte. Damit wird es auch solchen Lesern ermöglicht, den Analysen zu folgen, die sich erstmalig mit Antisemitismus und Subkultur beschäftigen.
Zumeist ist es israelbezogener Antisemitismus, getarnt als vermeintlich progressive Israelkritik. Bereits 1969 erkannte der Schriftsteller Jean Améry, dass der Antisemitismus dem Antizionismus inhärent sei »wie das Gewitter in der Wolke«. Das ungeschriebene moralische Gesetz der Linken, so Améry in Der ehrbare Antisemitismus, sei es, sich stets auf die Seite der Schwächeren zu schlagen. Die Autoren des Sammelbands kommen zu einem ähnlichen Schluss.
Die Vorstellung vom moralisch eindeutigen Kampf der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker sei seit jeher Teil eines linken Selbstverständnisses, so etwa Jan Riebe in seinem einführenden Text zu linkem Antisemitismus. Übertragen auf den Nahen Osten gehe die Rechnung hingegen nicht auf.Es sind einfache Lösungen, die für einen komplexen Konflikt gesucht werden.
RAHMUNG Der Staat der Schoa-Überlebenden werde so plötzlich zu einer imperialistischen, neokolonialen Unternehmung, die beendet gehöre, schreiben Tom Uhlig und Nikolas Lelle in ihrem Beitrag. Diese Rahmung verstelle den Blick auf israelbezogenen Antisemitismus und die damit einhergehende Gefahr für Juden. Israelfeindliche Positionen finden sich dennoch immer häufiger in den verschiedensten Subkulturen und Bewegungen, die von sich behaupten, emanzipatorisch zu sein.
Nicholas Potter zeigt mögliche Gründe hierfür exemplarisch an der Klubkultur. Techno und House seien ab den 80er-Jahren eine Antwort auf eine weiße Kulturindustrie gewesen, die schwarze Künstler systematisch ausgebeutet habe. Trotz der politisierten Entstehungsgeschichte sei die Szene heute weitestgehend kommerzialisiert und entpolitisiert. Erst in den vergangenen Jahren hätten sich Teile der Szene wieder bemüht, diesem Trend etwas entgegenzusetzen.
»BLACK LIVES MATTER« Vor allem im Zuge der »Black Lives Matter«-Proteste habe man alte Fehler korrigieren und schwarze Künstler wieder mehr in den Fokus nehmen wollen. Black Lives Matter allerdings habe sich bereits 2016 der antisemitischen BDS-Bewegung angeschlossen und Israel als einen »Apartheidstaat« bezeichnet. Die Narrative der BDS-Bewegung konnten sich Potter zufolge somit bestens in der Klubszene verbreiten.
Die Folgen davon sind auch in Berlin zu spüren. Die beiden queeren Partyreihen »Room 4 Resistance« (2018) und »Buttons« (2021) beendeten ihre Zusammenarbeit mit dem Berliner Technoclub About Blank wegen dessen angeblicher Solidarität mit Israel.
»Die queere Befreiung ist grundsätzlich mit den Träumen von der palästinensischen Befreiung verbunden«, hieß es in einem Statement von Buttons, das auch von Black Lives Matter geteilt wurde. Eine weitere Zusammenarbeit mit dem Klub sei daher unmöglich.
Stefan Lauer und Nicholas Potter (Hg.): »Judenhass Underground. Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen«. Hentrich & Hentrich, Berlin 2023, 252 S., 22 €