Als er den Titel für seinen Debütroman formulierte, hat Michel Bergmann das Wort gegoogelt: »Ich habe damals aber nur eine Jasmin Teilacher gefunden und das Verb ›teilachen‹, jiddisch für ›flüchten, ausreißen‹.« Inzwischen gibt es Dutzende neue Einträge, die sich alle auf Bergmanns Buch Die Teilacher beziehen, das Anfang dieser Woche erschienen ist.
autobiografisch Teilacher, das sind jüdische Handelsvertreter, wie sie vor und nach dem Krieg mit ihren Waren durch die Lande fuhren, wortgewandt, hartnäckig, gewitzt. Michel Bergmann hat sie kennengelernt, sie waren Teil seines Lebens, in Frankfurt am Main, wo er, 1945 in einem Schweizer Internierungslager geboren, aufwuchs. Also ein autobiografischer Stoff? »Debütromane haben das so an sich, dass sie autobiografisch sind«, sagt Bergmann und lächelt. Der Held und »Einstein unter den Teilachern« David Bermann hieß tatsächlich David Bergmann und war sein Onkel. Auch andere Familienangehörige bevölkern den Roman: sein Vater, ganz kurz; und immer wieder seine Mutter. »Sie kam aus einer klassisch jüdischen und auch orthodoxen Familie bei Nürnberg«, erzählt der 65-Jährige. »Sie ist als junges Mädchen mit 16 nach Paris emigriert, hat sich dort durchgeschlagen.«
Nach dem Krieg kehrt die Mutter, die einen Großteil ihrer Familie in der Schoa verloren hat, nur widerwillig nach Deutschland zurück – ihr Mann will zusammen mit seinem Bruder in Frankfurt die Firma der Familie wiederaufbauen. »Es ist ihm nicht gelungen, er ist Anfang der Fünfziger gestorben, ich war noch sehr klein.« Der Vater war den Folgen seiner langen KZ-Haft erlegen: »Es gab damals auch einen widerlichen Wiedergutmachungsprozess, in dem das abgeschmettert wurde, aber für mich und meine Familie waren die Zusammenhänge klar.« Die Mutter versucht mit ihrem Schwager, eben jenem Onkel David, das Geschäft weiterzuführen. »Es war nicht mehr das große Warenhaus Bergmann wie vor dem Krieg, nur ein Wäschegeschäft, und es hatte auch Teilacher, die mit der Ware über die Dörfer fuhren. Anführer war mein Onkel, der kein Büromensch war. Das war eine sehr faszinierende Szene, schillernd, auch irgendwie halbseiden, eine reine Männerwelt.« Ihr setzt der Hamburger Journalist und Drehbuchautor jetzt ein fulminantes Denkmal.
gepackte Koffer Bergmanns mit viel untergründigem Witz und schwarzem Humor erzählter Roman hat auch eine politische Dimension: Er berichtet von deutschen Juden, die wider Willen zurückkommen in das Land, das sie so gnadenlos verfolgt hat – aber ihre Koffer nicht auspacken. »Ich bin in dem Bewusstsein groß geworden, wir sind ein paar Jahre hier, wir werden hier Geld machen – Geld machen war wichtig – und dann wandern wir aus, irgendwohin. Vielleicht hätte unsere Familie das auch getan, wäre mein Vater nicht so früh gestorben. Aber dann sind wir nicht ausgewandert, sondern hiergeblieben.« Für Michel Bergmann war das nicht leicht. »Ich habe mich viele Jahre bei meiner ausländischen Verwandtschaft dafür geschämt, dass ich in Deutschland lebe. Ich musste mir immer wieder anhören ›Wie kannst du da nur leben?‹. Es hat nichts geholfen, wenn ich sagte: ›Das ist hier nicht mehr Nazideutschland‹ und dass ich sehr gute deutsche Freunde hätte.« Und der Antisemitismus jener Tage? »Klassischen Antisemitismus habe ich nie erlebt«, sagt Bergmann. »Obwohl« – er macht eine Pause und legt den Kopf ein wenig schief – »wenn ich ihn hätte heraushören wollen, dann wäre er wohl schon da gewesen.« Seine Mutter fällt ihm ein, die einen etwas dunklen Teint hatte, immer aussah, als käme sie gerade aus dem Sommerurlaub. »Wenn dann wieder eine Nachbarin kam und sagte ›Ach, Frau Bergmann, Sie sehen aber braun aus!‹, hat meine Mutter geantwortet: ›Ja, früher waren Sie braun, jetzt bin ich es.‹«
Fortsetzung So wächst Michel Bergmann in Frankfurt am Main auf, wird Jour-nalist, entdeckt zufällig die Welt des Films – und sattelt um: »Ich habe alles gemacht, vom Kabelhelfer bis zum Produktionsleiter; dazu Regieassistenz, später Regie.« 1980 holt ihn der Hamburger Re-gisseur Hark Bohm an die Elbe. In Altona wird das Filmhaus gegründet, die örtliche Filmförderung professionalisiert sich und braucht einen Produzenten, der sich um die Finanzierung der geförderten Filme kümmert: »Ich habe ein Produktionsbüro gegründet und in zehn Jahren 18 Filme produziert; sie sind alle nicht toll gelaufen, aber es gibt keinen Film, für den ich mich schämen muss.« Nach dem Produzieren kommt das Drehbuchverfassen – und nun eben das Schreiben von Romanen, in dem er seine Zukunft sieht. »Wenn es gut läuft, auch finanziell«, sagt Bergmann und legt seine Hand beschwörend auf den Buchumschlag. Denn es soll nicht bei einem Roman über die Teilacher bleiben. Eine Fortsetzung, die um die Fußballweltmeisterschaft von 1954 kreist, ist schon weit fortgeschritten; ein dritter Roman, der in unserer Gegenwart spielt, ist konzipiert. Mehr will Michel Bergmann nicht verraten. Nur, dass ihn die ersten Reaktionen sehr freuen – und anspornen. »Einige fanden das Buch gut, viele waren schwer begeistert. Letzteren sollte man vertrauen.«
Michel Bergmann »Die Teilacher«, Arche, Hamburg 2010, 285 S., 19,90 €
Am Sonntag, den 28. Februar, wird »Die Teilacher« von 11 bis ca. 22 Uhr im Hamburger Kultwerk West (Kleine Freiheit 42) komplett vorgelesen, u.a. von der Schauspielerin Marlen Diekhoff, dem NDR-Moderator Hubertus Meyer-Burkhardt und dem Verleger Nikolaus Hansen.