Seine Bilanz ist äußerst blutig. Zahlreiche Selbstmordattentate, die im Verlauf der Zweiten Intifada Israel erschüttern sollten und 46 Menschen das Leben kosteten, gehen auf sein Konto.
Die Rede ist von Ibrahim Hamed, ehemals Kommandeur der Hamas im Westjordanland, den Avi Dichter, früher einmal Minister für öffentliche Sicherheit sowie Direktor des Inlandsgeheimdienstes Schabak, als den Erzterroristen überhaupt bezeichnete. Im Jahr 2006 konnte Hamed nach jahrelanger Jagd dingfest gemacht werden, woraufhin er 2012 zu 56-mal lebenslanger Haft verurteilt wurde.
Die offene Flanke des ebenso gewieften wie grausamen Drahtziehers der Anschläge unter anderem vom Zionsplatz in Jerusalem, der Frank-Sinatra-Cafeteria der Hebräischen Universität oder dem Sheffield Club in Rischon LeZion: die Liebe zu seiner Frau. Über seine aus Jordanien stammende Gattin Asmah gelang es schließlich dem Schabak, die Fährte aufzunehmen.
wahrheit »Die Geschichte kommt Ihnen irgendwie bekannt vor?«, fragt Fernsehmoderator Assaf Liebermann zu Anfang der jüngsten Folge der Doku-Drama-Produktion Sman Emet, zu Deutsch etwa »Stunde der Wahrheit«, die im israelischen Sender Kan läuft. Denn die Fans der Netflix-Erfolgsserie Fauda dürften darin schnell eine der Hauptfiguren wiedererkennen, und zwar Tawik Hamed, einen Hamas-Anführer, der 116 Israelis auf dem Gewissen hat.
»Er ist der Teufel in Menschengestalt, und trotzdem liebt er seine Frau und seine Kinder«, wie Avi Issacharoff, einer der Macher von Fauda, seine fiktive Gestalt einmal umschrieb. In Folge sechs der aktuellen Staffel von Sman Emet erzählen nun er sowie Amos Harel, ein bekannter Sicherheitsexperte und Publizist, was es mit dem echten Ibrahim Hamed wirklich auf sich hatte und inwieweit der Hamas-Frontmann zur Vorlage für den TV-Terroristen werden konnte.
Israel verurteilte Ibrahim Hamed zu 56-mal lebenslanger Haft.
»Ibrahim Hamed war nicht einfach nur ein Terrorist«, berichtet darin unter anderem Generalmajor Yair Golan. »Er war ein Ideologe und einer der gefährlichsten Feinde Israels. Juden töten – das war sein Job. Und zwar so viele wie möglich. Deshalb gab er sich auch nicht mit kleinen Sachen ab, wie beispielsweise einen Autobus mit 30 Insassen in die Luft zu jagen«, ergänzt ein Schabak-Mitarbeiter, der ihm seit 1995 auf den Fersen war.
Beispielsweise versuchte Ibrahim Hamed, einen Schnellzug auf der Strecke zwischen Tel Aviv und Beer Sheva aus den Gleisen zu sprengen. In welchen Dimensionen er dachte, zeigt der zum Glück ebenfalls gescheiterte Anschlag auf das Treibstoff- und Erdgaslager Pi Glilot, das in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten in Herzlija liegt. Es sollte Hamed 2002 zwar gelingen, einen Terroristen mit einem Lastwagen samt Bombe dorthin zu schleusen. Aber die durch ein Mobiltelefon ausgelöste Explosion konnte durch ein fehlerhaftes Detail beim Bau des Sprengsatzes keinen größeren Schaden anrichten. Es war reine Glückssache. »Hameds Anschlag hätte locker mindestens fünf- bis 6000 Menschen das Leben kosten können«, sagt Issacharoff.
charakter Was Sman Emet so sehenswert macht, sind die zahlreichen Akteure aus Militär- und Geheimdienst, die darin zu Wort kommen, um ganz nüchtern und unaufgeregt Ibrahim Hameds Charakter zu skizzieren oder seine Vorgehensweise zu analysieren – darunter Gonen Ben Yitzhak, dem vor Jahren der Coup gelungen war, Mosab Hassan Yousef, genannt der »grüne Prinz« und Sohn einer der wichtigsten Hamas-Bosse, für den Schabak zu rekrutieren. Oder der ehemalige Generalmajor Mikey Edelstein, der die Unterschiede im Denken und Handeln der Hamas-Terroristen aus der ersten Generation mit denen der heutigen Führungsclique vegleicht.
Sie alle schildern, warum man den »Scheich«, wie Ibrahim Hamed ebenfalls genannt wurde, zwar schon früh auf dem Radar hatte und sogar wusste, »welche Kräuter er auf dem Markt kaufte«, wie ein israelischer Geheimdienstmitarbeiter in der Doku sagt. Aber erst nach seiner Entlassung aus einem Gefängnis der Autonomiebehörde im Jahr 2001 wurde der 1965 in Silwad, einem Dorf nahe Ramallah, Geborene zum Albtraum für Israels Sicherheitsorgane.
überraschung 2006 schließlich sollte seine Verhaftung gelingen, weil er bei den Versuchen, Kontakt mit seiner Ehefrau Asmah aufzunehmen, aus der Deckung musste. Bei dem Zugriff auf seine Person leistete Ibrahim Hamed zur Überraschung aller Beteiligten kaum Widerstand. »Es gibt eben diejenigen, die nicht bereit sind zu sterben, sondern lieber andere in den Tod schicken«, kommentiert Netanel Ashual, ein Antiterrorspezialist, dieses Verhalten.
Am Ende der Sendung fragt Moderator Liebermann sowohl Issacharoff als auch Harel, ob es aktuell Personen vom Kaliber eines Ibrahim Hamed gibt. Beide müssen nicht lange nachdenken und nennen sofort Mohammed Deif, den Kommandeur der Qassam-Brigaden im Gazastreifen. Auch ihn macht Israel für zahlreiche Selbstmordanschläge verantwortlich, weshalb es bereits einige Versuche gab, ihn zu töten – zuletzt vor wenigen Wochen im Mai, als die Hamas ihren Raketenterror vom Zaun brach. Doch immer wieder konnte Mohammed Deif entwischen. Vielleicht liefert ja auch er bald die Vorlage für eine Figur in der Erfolgsserie Fauda.
»Sman Emet« läuft beim israelischen Fernsehsender Kan.