Über »Happy Places« zu schreiben, über das, was die Kunst und Kultur bereithalten, ist gar nicht so einfach. Denn es fällt manchmal schwer, das Schöne zu sehen, wenn sich um uns herum düstere Landschaften abzeichnen. Aber nicht nur ich brauche neben der ständigen Auseinandersetzung mit schweren Themen auch »Happy Places«.
Hier ist einer: Seit Juni wird in Israel eine neue zehnteilige TV-Serie gebingewatcht. Produziert unter anderem von Yes Studios (Fauda, Shtisel) scheint Night Therapy laut »Timeout« genau die Serie zu sein, »die die verletzte israelische Seele gerade braucht«.
Worum geht es? Der arabisch-israelische Psychotherapeut Luai Mansour (Yousef Sweid) will seine Familie zusammenhalten, nachdem seine Frau sich infolge einer schweren Depression das Leben genommen hat. Um ihn bei der Versorgung seiner Kinder zu unterstützen, zieht Luais Schwester Mira (Lucy Ayoub) zu ihm nach Tel Aviv, und Luai schlägt einen unkonventionellen Weg ein: Er empfängt seine Klienten nachts.
So finden neue Charaktere in die Praxis: der überhebliche Chefarzt Noam (Yaron Brovinsky), der kriminelle Effi, der die Unterwelt verlassen will (Tomer Yosef), Yasmin, ein Computer-Genie ohne soziales Umfeld (Shira Haas), und der Charedi Yakov Simantov, der von seiner Familie verstoßen wurde (Yaakov Zada-Daniel). Allein der Cast verspricht schon viel.
In einer Welt, in der Israelis nicht aus der Kunst-, Kultur- und Filmbranche weggecancelt werden, könnte »Night Therapy« der nächste große Serienexport werden.
Hinzu kommt: Die Serie porträtiert eine so selbstverständliche wie unsichtbare Lebensrealität, nämlich die der arabischen und palästinensischen Israelis, die ein knappes Viertel der Bevölkerung Israels ausmachen. Es sind die, die im Schwarz-Weiß-Gebilde des Nahost-Konflikts keinen Platz finden, obwohl sie die israelische Gesellschaft mitprägen. Die das Gefühl haben, schweigen zu müssen, obwohl sie beide Sprachen sprechen und oft auch beide zusammen.
Manchen mag die Kombi aus den zwei Ausnahmeerscheinungen der israelischen Filmindustrie Yousef Sweid und Shira Haas bekannt vorkommen – als Revival der Netflix-Erfolgsserie Unorthodox. Aber Sweid und Haas performen in Night Therapy eben nicht das, was sie letztlich auch berühmt machte: eine ultraorthodoxe Jüdin und einen Palästinenser beziehungsweise das, was man in ihnen sehen will.
Denn die Serie schafft eine Atmosphäre, in der die Unterschiede der Charaktere zur Komplexität der Geschichte beitragen, ohne dabei im Vordergrund zu stehen. Die Figuren ringen mit Abgründen, Einsamkeit, inneren Widersprüchen.
Vielleicht hilft die Serie Israels Gesellschaft bei der Bewältigung der kollektiven Katastrophe, vielleicht führt sie ihr durchaus auch einige ihrer Leerstellen vor Augen. Vielleicht will die Serie aber auch nichts sein als eine Leinwand für die Stunden der Nacht, in denen Menschen sein dürfen, wer sie wirklich sind. Ohne Projektionen, ohne Grundrauschen, ohne Bullshit.
In einer Welt, in der Israelis nicht aus der Kunst-, Kultur- und Filmbranche weggecancelt werden, könnte Night Therapy der nächste große Serienexport werden (die Rechte für eine Adaption für den deutschen Markt wurden übrigens gerade eingekauft).
Nicht nur, weil sie in ihren sanften Zwischentönen so vieles von dem, was den öffentlichen Diskurs aktuell dominiert, ad absurdum führt – sondern weil man ihm (gemeinsam mit den unglaublich geschriebenen und gespielten Figuren) ein wenig entkommen kann; vielleicht, weil sie aus einer Welt vor dem 7. Oktober 2023 stammen und auch im Danach weiterleben.
Die Serie lässt emotionale Projektionen zu, aber keine identitären. Manchmal kann ein »Happy Place« auch eine Fiktion sein, in der eine Realität abgebildet und dadurch ein Stück sichtbarer wird. Endlich.