Die Melodie kennt wohl jeder. Gemeint ist das Präludium des »Te Deum«, verfasst von dem französischen Komponisten Marc-Antoine Charpentier. Der im 17. Jahrhundert lebende Kapellmeister dürfte damals kaum geahnt haben, dass sein Stück eines Tages zur Erkennungsmelodie von TV-Sendungen der Eurovision werden sollte, und zwar jener 1954 in Genf gegründeten Einrichtung der Europäischen Rundfunkunion. Ihre Mission: Man wollte den Gedanken eines vereinten Europas vorantreiben, indem man supranational Fernseh- und Hörfunkprogramme ausstrahlt.
Die erste offizielle Eurovision-Sendung war am 6. Juni, also vor genau 70 Jahren, die Übertragung des »Narzissenfestes« im schweizerischen Montreux. So manch anderer TV-Klassiker wurde seither ebenfalls unter dem Eurovision-Label gezeigt, beispielsweise die Quizsendung Einer wird gewinnen mit Hans-Joachim Kulenkampff, Musik ist Trumpf, moderiert von Peter Frankenfeld und Harald Juhnke, oder die legendären Rockpalast-Nächte.
Die allermeisten Eurovision-Formate sind mittlerweile verschwunden. Doch ein TV-Ereignis ist geblieben und hat sich zum Aushängeschild der Eurovision gemausert: der 1956 erstmals unter dem Namen »Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne« ausgetragene Musikwettbewerb, später als »Eurovision Song Contest« bezeichnet, von Fans einfach »ESC« genannt.
Völkerverständigung war die Leitidee hinter dem »Schlagerwettbewerb«
Völkerverständigung war die Leitidee hinter dem »Schlagerwettbewerb« – schließlich lag der Zweite Weltkrieg erst elf Jahre zurück. Und wer gemeinsam singt, geht sich nicht so schnell an die Gurgel, so der Gedanke dahinter. Doch unpolitisch und konfliktfrei war der ESC nie. So stiegen Mitte der 70er-Jahre erst Griechenland, dann die Türkei kurzzeitig aus. Der Grund: Streit um Zypern.
Und auch Israel, das viermal als Sieger hervorgehen sollte, weshalb das Land im Ranking der erfolgreichsten Nationen auf Platz drei rangiert, war für andere schon immer ein rotes Tuch. Als 1978 Yizhar Cohen in Paris mit »A-ba-ni-bi« erstmals für Israel gewann, zog Jordanien mitten in der Übertragung den Stecker und erklärte kurzerhand Belgien zum Sieger.
Zugleich markiert ein anderer israelischer Sieg einen Wendepunkt. In Birmingham sollte sich 1998 Dana International gegen die Konkurrenz durchsetzen, weshalb der ESC endgültig zu einem queeren Spektakel mutierte. Erstmals hatte eine Transperson teilgenommen und auch noch haushoch gewonnen. Seither wimmelt es dort von Regenbogenflaggen, und der Song Contest konnte sich weltweit zum festen Feiertag im schwul-lesbischen Kalender etablieren.
Auch die Hoffnungen auf Frieden im Nahen Osten fanden ihren Ausdruck im ESC. So trat im Jahr 2000 in Stockholm das israelische Quartett Pingpong auf und wedelte mit einer israelischen sowie einer syrischen Flagge, was aber nur für Platz 24 reichte.
Von Verständigung, Diversität und Toleranz war in Malmö keine Spur zu sehen
All das scheint vergessen, wenn man sich den diesjährigen ESC in Schweden anschaut. Von Verständigung, Diversität und Toleranz keine Spur. Noch nie in seiner Geschichte hatte es gegen einen Teilnehmer, in diesem Fall die Israelin Eden Golan, so viel Hass gegeben, noch nie war der Sicherheitsaufwand so groß. Erschreckend auch die Feindseligkeit, die andere Sängerinnen und Sänger einer Konkurrentin zeigten.
Nur die Zuschauer sahen das anders und bescherten Eden Golan einen soliden Platz fünf. Ohne die Experten-Jury hätte die 20-Jährige noch besser abgeschnitten. Genau das mag in Israel mit den Ausschlag gegeben haben, sich nicht aus dem ESC zu verabschieden. Am Dienstag bestätigte der israelische TV-Sender Kan, auch im kommenden Jahr mit von der Partie zu sein. Für die Eurovision ist es eine Chance, sich wieder auf ihre eigentlichen Werte zu berufen und kein Forum für Israelhass zu werden. Vielleicht ist es die letzte.