Israel in 40 Jahren. Ein lockerer Staatenverbund im Nahen Osten. Frieden. Ein universeller Basislohn für alle, mietfreies Wohnen, kostenlose Freizeitangebote. Finanzielles Vermögen und der Erwerb von Immobilien sind zugunsten der allgemeinen Zufriedenheit begrenzt. Die künstliche Intelligenz nutzt jenen, die sonst nie die gläserne Decke zu einem sorgenfreien Leben durchstoßen hätten.
Sorgenfrei? Mitnichten. Was im Gegensatz zur momentanen Situation wie ein Wunschtraum anmutet, entwickelt sich in den beiden Erzählungen des israelischen Bestsellerautors Assaf Gavron zur Dystopie, zum Albtraum mit elendem Ausgang in der ersten Geschichte »Everybody Be Cool« und einem märchenhaften Schluss mit miesem Nachgeschmack in seiner zweiten Erzählung »Zement«.
Gavron, 56 Jahre alt und in Jerusalem aufgewachsen, gehört zu den vielseitigsten Schriftstellern Israels. Beide Novellen entstanden während der Coronapandemie, aber vor dem 7. Oktober. Diese Katastrophe greift er auf in seinem überaus klugen Vorwort, das erklärt, warum er die Zukunftsvision wählte: »Während ich diese Sätze schreibe, befinden wir uns auf dem Höhepunkt eines Krieges: Geiseln wurden genommen und noch nicht freigelassen, jeden Tag sterben Palästinenser und Israelis (…) Niemand hat eine realistische Idee, mit welchen Mitteln ein Ende herbeigeführt werden könnte und wie die Region danach aussehen wird. Vor uns liegt also ein Feld, auf dem zwangsläufig alle möglichen Spekulationen gedeihen.«
So baut Gavron poetisch auf einen politischen und sozialen Frieden, eine Weltregierung, die beides steuert, »General Authority« genannt, und beschreibt zugleich das Unglück der Einzelnen. In der Geschichte »Everybody Be Cool« vereinsamt eine erfolgreiche junge Frau, die nur noch mit ihrem KI-Assistenten kommuniziert, Zeugin eines virtuellen Banküberfalls wird und in der Realität der computergesteuerten Polizeiarbeit im Gefängnis landet. Hacker haben ihr Portfolio verändert.
In »Zement«, spannend wie ein Krimi, geht es um die zentrale Frage, ob geschäftliche Konkurrenz und finanzieller Erfolg sinnstiftend sind oder eher Solidarität mit den Schwächeren und das Teilen des eigenen Vermögens. Wenn es keine Kultur des Kampfes mehr gibt und stattdessen zu viel Zeit, die keinem Zwang unterworfen ist: Geht es uns dann besser? Diese philosophischen Fragen durchziehen beide Erzählungen und ersetzen psychologische Tiefenbohrungen der Figuren. Das ist erfrischend, erstaunlich, spannend, ungewohnt und äußerst lesenswert.
Assaf Gavron: »Everybody Be Cool«, Aus dem Hebräischen von Stefan Siebers, Luchterhand, München 2025, 192 S., 20 €