Herr Levkowich, Sie haben in der vergangenen Woche in Berlin Ihr Tanzduett »Boys don’t cry« aufgeführt. Worum geht es dabei?
Mein Tanzpartner Luan Manfredi und ich untersuchen darin männliche Verhaltensweisen in der Gesellschaft: Was also wird von Männern heute erwartet? Wie sollen sie sich geben? Wir betrachten dabei die Beziehungen zwischen Sexualität und Romantik und bringen auch unsere eigenen Erfahrungen mit ein. Luan aus homosexueller, ich aus heterosexueller Perspektive. Ich habe erst verhältnismäßig spät mit dem Tanzen angefangen und oft gemeinsam mit Männern getanzt. Dabei berührt man sich und diese Bewegungen sind in meinen Alltag mit eingeflossen. Zum Beispiel, wenn ich, als ich noch in einem Büro gearbeitet habe, meinem damaligen Chef ›Guten Morgen‹ sagte und ihm dabei die Hand an die Schulter legte, gab es schon seltsame Blicke, weil diese Geste als sehr unmännlich empfunden wurde.
Woher kommt es, dass Männer deswegen schräg angeschaut werden, wohingegen es bei Frauen doch ganz normal ist, sich zur Begrüßung auch zu umarmen?
Das fängt schon im Kindesalter an. Jungs sollen nicht gleich weinen, sie sollen stark sein und sich auf ihre Rolle in der Gesellschaft vorbereiten: Hart sein, keine Schwäche zeigen. Ich definiere männliche Stärke eben auch darüber, sich zu öffnen und emotional zu sein.
Wie gehen Sie mit Gefühlen um?
Es fällt mir zum Beispiel nicht leicht zu weinen. Ich bin in meinem Leben durch eine komplizierte Zeit gegangen, in der ich nicht aufhören konnte zu weinen. Für meinen Vater war es sehr schwer, mich so zu sehen, denn er hatte das Gefühl, dass er etwas reparieren müsse. Auch das ist übrigens ein typisches männliches Verhaltensmuster: In schwierigen Situationen aktiv zu sein, etwas dagegen zu unternehmen und nicht einfach da zu sein. Ich empfinde Weinen heute nicht mehr als beschämend.
Ein anderes Tanzstück von Ihnen heißt »Girls Just Want to Have Fun«. Auch jungen Mädchen wird schon früh beigebracht, nur nicht aufzufallen.
Wir haben bei diesem Stück einfach alles umgedreht. Es »Boys Don’t Cry« aus weiblicher Perspektive. Der Titel bezieht sich auf den Cyndi Lauper Song. Und darin geht es genau um diese Klischees, die Mädchen früh vermittelt werden: Seid passiv, seid schön, macht nur nichts Wichtiges. Eines der interessantesten Dinge, die ich während des Entstehungsprozesses der beiden Stücke erkannt habe, waren gar nicht so sehr die Unterschiede als mehr die Gemeinsamkeiten bei den Geschlechtern.
Welche denn?
Nun, wir können uns selbst ganz gut erziehen: Frauen können sehr aktiv sein und Männer eben auch passiv.
Was fasziniert Sie an dem Gender-Thema?
Es gibt so viele Identitätsschichten: meine nationale Identität, meine jüdische, meine berufliche – alles das kann ich ablegen. Aber ein Mann zu sein, das ist etwas, dass so tief verwurzelt ist, dass ich es nicht infrage stellen kann. Ich hatte das Bedürfnis herauszufinden, warum ich mich so verhalte, wie ich es tue. Warum ich einige Gesten so mache, wie ich sie mache. Außerdem kommt noch hinzu, dass ich in Israel aufgewachsen bin und die Gesellschaft dort doch sehr machohaft ist. Ich war in der Armee – allein das ist ein großes Kapitel in meinem Leben.
Wie hat sich das auf Sie ausgewirkt?
Als ich 18 war, war meine emotionale Landschaft noch sehr unausgewogen, und ich habe schwierige Dinge gesehen. Ich war noch nicht so offen wie jetzt. Wenn man mich heute nochmal in diese Situtaion versetzen würde, dann würde ich wahrscheinlich umfallen. Es kommt nicht von ungefähr, dass man mit 18 zur Armee muss. Man ist formbar, manipulierbar und der Körper ist voller Hormone. Ich war früher Basketballer und mich hat das Training in der Armee körperlich voll angesprochen. Ich habe das große Ganze nicht gesehen und es hat zwei Jahre gedauert, bis ich nicht mehr konnte. Dann bin ich gegangen. Doch viele meiner Freunde haben es durchgezogen und gehen auch heute noch zur Reserve. Sie schauen nicht hinter ihre Identität.
Mit dem Tänzer sprach Katrin Richter.