Sprachgeschichte(n)

Was für eine Chuzpe!

Noch Chuzpe oder schon chuzpedig? Griechenlands Premier Alexis Tsipras Foto: dpa

Da Chuzpe »grundlegend für das jüdische Kommunikationsverhalten« sei, so Hans Peter Althaus in seinem Buch Chuzpe, Schmus und Tacheles (2004), müsse das Wort »bereits seit dem 18. Jahrhundert in deutschen Kontexten verwendet worden sein«. Im 19. Jahrhundert war es dank des Jiddischen geläufig, etwa im Roman Schief-Levinche mit seiner Kalle oder Polnische Wirtschaft, den der Hamburger Hermann Schiff (alias Isaak Bernays) 1848 vorlegte.

Heinrich Heine hat das Werk seines Cousins »unendlich amüsiert« – wohl auch wegen dieser Stelle: »Wenn wir beten zum lieben Gott um wohlgestaltete Kinder, wird uns der liebe Gott doch auslachen. Er wird sagen: Wie’n Chutzpe! Solche Menubalonim wollen auch schöne Kinder haben.« Der israelitische Setzer fügte als Fußnote die Übersetzungen hinzu: »Welche Frechheit!« und »Menubalonim = Schreckbilder«.

unverschämt Für das Jüdische Lexikon (1930) meint der »Vulgärausdruck Chuzpe« – abgeleitet vom aramäischen »chuzpa« – Anmaßung, Frechheit, Unverschämtheit. Daneben gibt es die Adjektive »chuzpig« und »chuzpedig/(-dik)« für frech, unverschämt. Ein »chuzef« oder »chuzpenik« ist ein frecher Mensch.

Weinberg nennt in Die Reste des Jüdischdeutschen (1969) einige Komposita mit »ponem«, in denen Letzteres »als pars pro toto ›Person, Mensch‹ anstatt ›Gesicht‹ bedeutet«, darunter neben »schlamasselponem« (Unglücksvogel) und »rischesponem« (Antisemit) auch »chutzeponem«. »Die Frechheit«, so Abraham Tendlau in seinen Jüdischen Sprichwörtern und Redensarten (1860), »guckt ihm aus dem Ponim heraus«.

Bei »Chuzpe«, das für den israelischen Publizisten und »Friedensaktivisten« Uri Avnery in keiner Sprache eine Entsprechung hat, kann auch Positives anklingen. Diese Ambiguität erklärte Jan Meyerowitz (Der echte jüdische Witz, 1997) an einem Dialog: »Ist es wahr, du hast Prügel gekriegt vorige Woche in Budapest?« – »Auch ne Stadt, Budapest!« Er setzte hinzu: »Vielleicht muss dieser verklausulierte Tiefsinn erklärt werden: Statt zu der sehr ehrenrührigen Behauptung, die natürlich wahr ist, Stellung zu nehmen, weicht der in die Enge getriebene Gefragte aus, indem er die Stadt Budapest herabsetzt; er sagt eigentlich: ›Wie kann man überhaupt von Prügel reden, die man in einer so ganz unbedeutenden, verkommenen Stadt wie Budapest bekommen hat?‹« Da der Witz damit nicht ganz erklärt sei, wies der Autor auf etwas Undefinierbares hin: »die verschmitzte Frechheit, in einer so groben Situation eine so wunderliche Subtilität vorzubringen«.

Dershowitz In Isaac Bashevis Singers Roman Feinde, die Geschichte einer Liebe (1976) lesen wir: »Sie hatte die Chuzpe, zwei Schritte von ihrem Mann entfernt ihrem Liebhaber beizuliegen.« Ist das empörend? Alan M. Dershowitz (Chuzpe, 2000) relativiert: »Für denjenigen, der sie an den Tag legt, bedeutet Chuzpe Kühnheit und Entschiedenheit. Für das Opfer von Chuzpe ist sie gleichbedeutend mit Unverschämtheit. Es liegt am Standpunkt des Betrachters.«

Als »Die Welt« im März 2014 schrieb, Mario Draghis Forderungen nach Reformen »zeigten Chuzpe«, schwang Bewunderung für den Präsidenten der Europäischen Zentralbank mit. Die Warnung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, »vom Einknicken der Euro-Retter vor der Chuzpe der griechischen Elite« gingen so weitreichende wie verheerende Signale aus, zielte auf die Dreistigkeit hellenischer Politiker wie Alexis Tsipras.

In seinem »Die Schnorrer sind los« betitelten früheren Artikel in dieser Zeitung fing Michael Wuliger beide Aspekte ein, indem er »Chuzpe« als Akronym deutete: »Je größer die Charme-und-Zynismus-Phrasen-Effizienz (Chuzpe) des Politikers, desto höher fallen die Zuschüsse für sein Land aus.« Präziser kann man es nicht sagen.

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  25.04.2025

100 Jahre "Der Prozess"

Was Kafkas »Der Prozess« mit KI und Behörden-Wirrwarr gemeinsam hat

Seine Liebesworte gehen auf TikTok viral. Unheimlich-groteske Szenen beschrieb er wie kein Zweiter. In Zeiten von KI und überbordender Bürokratie wirkt Franz Kafkas Werk aktueller denn je - eben kafkaesk

von Paula Konersmann  25.04.2025

Reykjavik

Island fordert Ausschluss Israels vom ESC

Das Land schließt sich damit der Forderung Sloweniens und Spaniens an. Ein tatsächlicher Ausschluss Israels gilt jedoch als unwahrscheinlich

 25.04.2025

Popkultur

Israelfeindliche Band Kneecap von zwei Festivals ausgeladen

Bei Auftritten verbreiten die irischen Rapper Parolen wie »Fuck Israel«. Nun zogen die Festivals Hurricane und Southside Konsequenzen

von Imanuel Marcus  25.04.2025

Berlin/Brandenburg

Filmreihe zu Antisemitismus beim Jüdischen Filmfestival

Das Festival läuft vom 6. bis 11. Mai

 25.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  24.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Imanuels Interpreten (8)

Carly Simon: Das Phänomen

Die Sängerin und Songschreiberin mit jüdisch-deutschem Familienhintergrund führt ein aufregendes, filmreifes Leben – Verbindungen zu einer singenden Katze, einem rollenden Stein, zu Albert Einstein und James Bond inklusive

von Imanuel Marcus  24.04.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus  24.04.2025