Eric hat keine Ahnung vom Programmieren. Dennoch macht eine Firma ihn zum Administrator für das schlecht funktionierende interne Mailsystem. Hilflos müht er sich ab, bis ihm klar wird: Die konkurrierenden Abteilungsleiter haben das System nur angeschafft, damit sie nicht miteinander kommunizieren müssen. Eric ist frustriert. Als er wegen beginnender Depressionen kündigen möchte, bietet ihm die Firma eine satte Gehaltserhöhung an.
In seinem fulminanten Buch Bullshit Jobs nimmt der Anthropologe David Graeber seine Leser mit auf eine Entdeckungsreise durch die Absurditäten moderner Bürowelten. Graeber erzählt von dem spanischen Ingenieur, der seinem Arbeitsplatz sechs Jahre lang unbemerkt fernblieb und sich zu einem Experten des Philosophen Baruch Spinoza weiterbildete.
»Bullshitisierung« Er erzählt von all den Angestellten mit schillernden Berufsbezeichnungen – Salesmanager, Personalentwickler, Interface-Administrator, Kommunikationskoordinator –, die ihre Zeit in ausufernden Meetings verbringen, wo sie Leitbilder, Konzepte und Strategien formulieren. Dazu geselle sich eine zunehmende »Bullshitisierung« von eigentlich sinnvollen Arbeiten, erklärt Graeber: wenn ein Altenpfleger, eine Ärztin, ein Jugendamtsmitarbeiter inzwischen mehr Zeit mit der Dokumentation verbringen als damit, diese Arbeiten zu tun.
Doch wie konnte es im angeblich so effizienten Neoliberalismus so weit kommen? Graeber verknüpft kühn den Arbeitsbegriff der mittelalterlichen Zünfte, protestantische Ethik, unbezahlte Frauen- und Betreuungsarbeit (den großen blinden Fleck der meisten Wirtschaftstheorien), den Durchmarsch des Finanzkapitalismus seit den 80er-Jahren und die computergestützte Automatisierung zu einer überzeugenden Erkenntnis: Im Büroalltag bildet sich längst ein neuer Feudalismus ab, dessen Lebensader Raubzüge auf den Finanzmärkten sind.
All die zwischengeschalteten Banker, Anwaltskanzleien, Personalentwickler, Lobbyisten, Strategieberater und ihre Mitarbeiterschar sind nur dafür da, die Zeit in die Länge zu ziehen – um mit überhöhten Honoraren und Gehältern das abzuschöpfen, was der Krankenschwester, dem Lastwagenfahrer, der Kassiererin am Monatsende fehlt.
Lebensunterhalt Am Ende plädiert Graeber, der sich sonst mit politischen Vorschlägen zurückhält, in aller Vorsicht für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Man solle den Lebensunterhalt trennen von dem, was Menschen gern tun möchten.
Der eine wird Spinoza-Experte, der andere spielt mit Kindern, die dritte konstruiert Brücken. Menschen arbeiten gern, das ist Graebers Credo – es sei denn, man zwingt sie in feudale Unsinnsschleifen.
David Graeber: »Bullshit Jobs: Vom wahren Sinn der Arbeit«. Klett-Cotta, Stuttgart 2018, 464 S., 26 €