Al Jazeera

Warnschuss

»Wir hetzen nicht gegen Israel oder irgendjemand anderen«: Der Al-Jazeera-Redaktion in Jerusalem droht das Aus. Foto: Flash 90

In den Büros des arabischen Nachrichtenkanals Al Jazeera in Jerusalem könnten bald die Lichter ausgehen – und zwar für immer. Denn ginge es nach dem Willen von Benjamin Netanjahu, soll den Mitarbeitern die Akkreditierung entzogen und das Büro geschlossen werden. »Das Al-Jazeera-Netzwerk hört nicht auf, rund um den Tempelberg zu Gewalt aufzuhetzen«, hatte Israels Ministerpräsident Ende Juli, als die Ausschreitungen dort ihren Höhepunkt erreichten, als Begründung mitgeteilt.

Er habe, so erklärte Netanjahu, deshalb schon mehrfach mit den zuständigen Behörden gesprochen und alle Optionen ausgelotet. »Sollte dies aufgrund der juristischen Rahmenbedingungen nicht möglich sein, werde ich darauf hinarbeiten, die erforderlichen Gesetze zu erlassen, um Al Jazeera aus Israel zu vertreiben.«

Pressefreiheit Es blieb nicht bei der bloßen Ankündigung. Ayoub Kara, verantwortlicher Minister für die Medien, gab schon am 6. August bekannt, dass entsprechende Schritte nun eingeleitet würden. Und wenige Tage später entzog man dem Al-Jazeera-Korrespondenten Elias Karram den Presseausweis. Da half es auch nicht, dass Walid al-Omari, Leiter des Al-Jazeera-Büros in Jerusalem, zuvor erklärte hatte: »Wir hetzen nicht gegen Israel oder irgendjemand anderen.«

Doch ganz so einfach, wie man sich es vorgestellt hatte, funktioniert das Ganze nicht. Zum einen hatte der Chef des Pressebüros der Regierung, das für die Akkreditierung von Journalisten zuständig ist, erklärt, dass man zuvor eine Einschätzung der Sicherheitsbehörden brauche – schließlich herrscht in Israel Pressefreiheit. Erst wenn diese zu dem Schluss kommen, dass Al Jazeera wirklich die nationale Sicherheit gefährdet, könne man das Jerusalemer Büro schließen.

Zum anderen wollten auch die israelischen Netzbetreiber nichts überstürzen und den Nachrichtensender mit Sitz in Katar keinesfalls sofort abschalten. Dies ginge nur nach einem Beschluss des Komitees für Satelliten- und Kabelfernsehen. Und so ruderte man bald nach einer Anhörung im Pressebüro der Regierung wieder zurück, und Elias Karram erhielt erneut seinen Presseausweis. Ein Warnschuss an den Sender war es trotzdem.

berichterstattung Damit ging ein weiteres Kapitel der konfliktträchtigen Beziehungen zwischen Israel und Al Jazeera zu Ende – vorläufig jedenfalls. Glücklich war man ohnehin nie mit der Berichterstattung. Diese sei oft feindselig, einseitig und teils auch antisemitisch, lauteten die Vorwürfe, die immer wieder erhoben wurden. Auf der anderen Seite hatte seit 1996 so ziemlich jeder, der in Israel Rang und Namen hat, dem Sender Interviews gewährt. Das wiederum brachte etliche in der arabischen Welt in Rage, weil sie plötzlich in einer ihrer wichtigsten Informationsquellen mit Israelis – oft auch auf Hebräisch – konfrontiert wurden. Das hatte es bisher in den meisten arabischen Sendern nicht gegeben. Kollaboration mit dem zionistischen Erzfeind, hieß es dann gerne.

Dennoch ist Al Jazeeras Verständnis von Journalismus hochproblematisch. Besonders in seinen arabischsprachigen Programmen ist viel von »Widerstand« und »Märtyrern« die Rede. Unvergessen die Würdigung des Senders, die er 2008 an »Bruder Samir Kuntar« entrichtete, den lange Zeit in Israel inhaftierten Mörder zweier Israelis, darunter eines vierjährigen Mädchens. Al Jazeera gibt sich moderat – hetzt aber gegen Israel.

Beispielhaft ist ebenfalls die erfundene Geschichte von Elena Zakusilo, einer IDF-Soldatin, die angeblich auf Befehl ihrer Vorgesetzten Kinder getötet haben soll. Und auch ein Interview, das besagter Al-Jazeera-Mitarbeiter Elias Karram 2016 dem TV-Sender »Dar al-Islam« gab, spricht Bände: »Als palästinensischer Journalist in einem besetzten Gebiet oder einer Konfliktzone ist die Berichterstattung ein integraler Bestandteil des Widerstands sowie der erzieherischen politischen Aktivität.«

Muslimbrüder Genau wegen dieser Worte sollte er nun seine Akkreditierung verlieren. »Die Ausgabe von Presseausweisen ist geknüpft an Regeln der Ethik und der universellen Fairness des Journalisten und seiner Berichterstattung«, so Nitzan Chen, Leiter des Pressebüros der Regierung. »Wer sich aktiv am politischen Kampf beteiligen will, sollte dies im Rahmen der Gesetze tun.«

Doch eigentlich geht es bei der angedrohten Schließung von Al Jazeera auch um Außenpolitik. Der Sender gehört der in Katar herrschenden al-Thani-Familie und hegt genau wie diese bekanntermaßen starke Sympathien für die Muslimbrüder, weswegen das Büro in Kairo bereits 2013 schließen musste. Es folgten Saudi-Arabien, Jordanien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain, die fast alle zu der Allianz sunnitischer Staaten gehören, die sich zurzeit mit Katar im Streit befindet und das Emirat wirtschaftlich durch Sanktionen in die Enge treibt.

Und Netanjahus großes außenpolitisches Projekt heißt derzeit: eine Allianz der sunnitischen Staaten mit Israel, um den Iran in die Schranken zu weisen. Auf sicherheitspolitischer Ebene arbeitet man auf vielen Ebenen zusammen, weshalb es nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass Jerusalem von Riad gebeten wurde, gleichfalls Al Jazeera einen Riegel vorzuschieben. »Israel ist doch ein unabhängiger Staat«, stichelte denn auch Walid al-Omari.

»Wenn es gegen Al Jazeera vorgehen will, dann doch nicht deshalb, weil Saudi-Arabien nervös geworden ist.« Damit trifft er einen wunden Punkt: Unabhängig davon, wie israelfeindlich Al Jazeera bislang aufgetreten ist – die zentrale Frage ist, ob Israel wirklich wie die arabischen Potentaten vorgehen und die Pressefreiheit einschränken will.

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