Eine junge Waldfee mit rötlichen langen Haaren und blaugrünen Augen schaut verführerisch durch das Blattwerk, als wolle sie den Betrachter in ihr grünes Versteck locken. Als »Waldhexchen« oder auch »Mädchen mit blaugrünen Augen« bezeichnete Julie Wolfthorn ihr 1899 entstandenes Ölbild, einer der Höhepunkte der Ausstellung, die seit diesem Wochenende im Museum Havelländische Malerkolonie in Ferch bei Potsdam zu sehen ist.
Unter dem Titel Julie Wolfthorn: Der Mythos von Ferch – das Paradies auf Erden widmet das 2008 eröffnete Museum seine Sommerausstellung einer Malerin, die noch immer zu den vergessenen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts gehört. Dabei war die jüdische Künstlerin 1898 eine der Mitbegründerinnen der Berliner Secession, jener Künstlervereinigung von Avantgardisten um 1900, die mit Max Liebermann an der Spitze gegen die vom Kaiser favorisierte Salonmalerei protestierte. Und Julie Wolfthorn (1864–1944) zählte vor 1933 als gefragte Porträtistin zu den erfolgreichsten Malerinnen ihrer Zeit.
werkverzeichnis Die Ausstellung in Ferch westlich von Berlin gibt mit rund 40 Arbeiten einen Überblick über alle Schaffensperioden Wolfthorns, vom Impressionismus über den Jugendstil bis zur Neuen Sachlichkeit. Kuratiert wurde sie von Heike Carstensen, die 2011 ein erstes Werkverzeichnis zu der Künstlerin erarbeitete. Ein Großteil ihres 500 Arbeiten umfassenden Gesamtwerks ist heute verschollen, die meisten erhaltenen Bilder befinden sich in Privatbesitz. »Die Waldfee gehört heute einem amerikanischen Sammler, der es immer sehr gern nach Deutschland ausleiht«, sagt Kuratorin Carstensen.
Zu sehen sind frühe Ölstudien, entstanden während eines Paris-Aufenthaltes, wie etwa das impressionistische Seerosenbild von 1892, das an Claude Monets berühmte, aber viel später gemalte Bilder erinnert. In flirrenden, zartviolett-blauen Tönen malte sie 1907 »Vier Mädchen auf Waldboden«, das Titelmotiv des Ausstellungskatalogs. Es zeigt die Töchter ihrer in Ferch lebenden Cousine Olga Hempel, die sie häufig vom nahen Berlin aus besuchte und deren Kinder zu ihren Lieblingsmodellen wurden.
Wie schon ihr Malerkollege Karl Hagemeister (1848–1933) war Julie Wolfthorn von der Havellandschaft am Ufer des Schwielowsees fasziniert. Mit ihrer Staffelei durchstreifte sie die Umgebung und ließ sich zu zahlreichen Bildern inspirieren, wie die Ausstellung belegt: Birkenwälder, das Aquarell eines Havelsees, eine Obstwiese mit blühendem Apfelbaum, der das ganze Bild ausfüllt.
Aktbilder Frauenporträts sind ein weiterer Schwerpunkt ihres Werks. Die selbstbewusste elegante Frau eines Porträts von 1927 konnte die Kuratorin erst vor kurzer Zeit als Gattin eines französischen Handelsattachés identifizieren. Ein anderes Porträt einer Frau mit blauem Hut tauchte kürzlich in Privatbesitz auf. Darüber hinaus belegen Grafiken und Ölbilder intimer Frauenakte einen bislang unbekannten Aspekt im Werk der Künstlerin. »Das ist wirklich neu, diese Aktbilder von Julie Wolfthorn können wir das erste Mal hier in Ferch zeigen«, sagt Kuratorin Heike Carstensen.
Die Künstlerin wurde 1864 als Julie Wolf im damals westpreußischen Thorn geboren und wählte als Künstlername Wolfthorn. Ab 1883 lebte sie in Berlin-Tiergarten, wurde in der Kunst- und Kulturszene aktiv und präsentierte bereits ab den 1890er-Jahren ihre Arbeiten auf Ausstellungen.
Den künstlerischen Durchbruch erlangte sie 1897 mit einem lebensgroßen Pastell ihrer Freundin Ida Dehmel, der Gattin des Dichters Richard Dehmel (1863–1920). Rasch wurde sie zu einer gefragten Porträtistin, aber sie produzierte auch Gebrauchsgrafik, Titelblätter für die Münchner Zeitschrift »Die Jugend« und freie grafische Arbeiten neben Ölbildern, Pastellen und Aquarellen.
NS-Zeit Zeitlebens war sie auch Mitglied zahlreicher Künstlerinnenvereinigungen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde sie als Jüdin systematisch ausgegrenzt und vom Kunstleben ausgeschlossen. 1942 wurde sie im Alter von 78 Jahren gemeinsam mit ihrer Schwester in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie 1944 starb.
»Vergessen Sie uns nicht«, bat Julie Wolfthorn einen Freund in ihrer letzten Nachricht. In Berlin erinnert heute eine Straße an die Künstlerin, und vor ihrem Wohnhaus in der Kurfürstenstraße liegt ein Stolperstein. Obwohl einige Museen der Hauptstadt Werke von ihr besitzen, wurde sie in der Hauptstadt noch nie mit einer Einzelschau gewürdigt.
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