Die Dinge so zu nehmen, wie sie sind. Genau das scheint die Herangehensweise von Lana Lux, wenn sie sich mit einer neuen Person oder Situation auseinandersetzen muss.
»Das hat viel mit einem Talent von mir zu tun, das ich sehr zu schätzen weiß«, erzählt die Schriftstellerin im Gespräch mit Philipp Peyman Engel, Redakteur der Jüdischen Allgemeinen, in der sechsten Folge der Podcast-Reihe »Schon immer Tachles« des Zentralrats der Juden. »Ich kann mir beispielsweise sehr gut vorstellen, wie ein Raum aus dem Blickwinkel einer anderen Person wahrgenommen wird, oder vielleicht von mir selbst von oben aus der Vogelperspektive.«
Genau deshalb ist es für die Autorin von Romanen wie Kukolka oder zuletzt Jägerin und Sammlerin eher ein Ausdruck von Fantasielosigkeit, wenn bei der Beschäftigung und Deutung ihrer Bücher immer wieder ihre Herkunft und Sozialisation als Resonanzboden herhalten muss. »Es ist übrigens auch die dümmste und zugleich häufigste Frage auf allen Lesungen.«
Biografie »Ein Kunstwerk kann für sich stehen, man muss es nicht automatisch aufgrund der Biografie von jemanden deuten«, ergänzt sie. Vor allem das ständig in diesem Kontext zum Ausdruck kommende Verlangen nach Authentizität geht ihr dabei mächtig gegen den Strich. Lux möchte keinesfalls auf eine einzige Zuschreibung festgenagelt werden, weder auf ihre Rolle als Mutter noch auf die als Jüdin, Deutsche oder Migrantin.
Lana Lux möchte keinesfalls auf eine einzige Zuschreibung festgenagelt werden, weder auf ihre Rolle als Mutter noch auf die als Jüdin, Deutsche oder Migrantin.
Ihre Erklärung dafür ist so simpel wie einleuchtend. »In dem Moment, in dem ich mich auf eine dieser Etikettierungen fixiere, muss ich den Rest davon irgendwie verleugnen.« Und genau auf dieses Spiel will sie sich nicht einlassen. »Denn Wahrheitssuche ist meine Maxime. Deshalb will ich mir auch zugestehen, in dieser fluiden Form zu verbleiben.« Ihr geht es um die Summe der einzelnen Teile.
Geboren wurde die Schriftstellerin 1986 in Dnipropetrowsk in der Ukraine. Als Lana Lux zehn Jahre alt war, wanderte sie mit ihrer Familie nach Deutschland aus. Erste Station nach einigen Wochen in einem Flüchtlingsheim war Gelsenkirchen. Ursprünglich stand Israel auf dem Plan, was aber nicht nicht klappen sollte, weil ihr Vater nach einem Erkundungstrip vor Ort für sich festgestellt hatte, dass er mit der Mentalität dort wohl so seine Probleme bekommen würde. Also wurde es das wenig glamouröse Ruhrgebiet.
Auswanderung »Die Abreise war an einem Samstag«, erzählt sie. »Und weil es bereits der zweite Versuch einer Auswanderung war, hatte ich vorsichtshalber noch die Hausaufgaben für den Montag darauf gemacht.« Ganz unnötig, wie sie feststellen sollte.
Und wie so viele Zehntausend andere Juden aus der Ex-Sowjetunion war man von heute auf morgen ein Kontingentflüchtling, suchte nach einer Wohnung und einem Job, kurzum, nach einer Rolle in dieser noch sehr fremden Gesellschaft. »Es fühlte sich an wie auf dem Startfeld eines völlig neuen Spiels«, bringt sie ihre Wahrnehmungen dieser Zeit auf den Punkt.
»Für mich war es auch ein Gefühl der Freiheit, die ich gewonnen hatte«, so erinnert sie sich. »Ich konnte mich überall hin bewegen, was in der Ukraine in dieser Umbruchphase mit ihren Unsicherheiten und Gefahren einfach nicht möglich war. Es kam mir wie ein Abenteuer vor, zumindest am Anfang.«
sowjetinion-nostalgie Für die Eltern sah das etwas anders aus. Sie konnten beruflich nie richtig Fuß fassen, einer der Gründe, warum sie wie viele andere Familien mit einem ähnlichen Schicksal eine gewisse Sowjetunion-Nostalgie zu kultivieren begannen. »Diese bezog sich aber nie auf das politische System, sondern meinte stets das Geflecht sozialer Beziehungen, das damals vor der Auswanderung existiert hatte.«
Eine Romantisierung der Erfahrungen von Auswanderung und Neuanfang liegt ihr fern: »Nicht dank, sondern trotz meiner Emigration führe ich jetzt ein besseres Leben.«
Auch Lana Lux hatte mit Schwierigkeiten zu kämpfen, wurde in ihrer Jugend oftmals mit Rassismus und Mobbing konfrontiert und weiß daher nur allzu gut, was es heißt, gesellschaftlich auf unterer Stufe zu stehen. Das waren auch die Momente, in denen sie die Entscheidung ihres Vaters, nicht mit der Familie nach Israel zu gehen, tausend Mal bereut hatte, wie sie es ausdrückt.
Diese Phasen sind zwar mittlerweile Geschichte, aber eine Romantisierung der Erfahrungen von Auswanderung und Neuanfang liegt ihr nach wie vor fern. »Nicht dank, sondern trotz meiner Emigration führe ich jetzt ein besseres Leben«, so ihr Fazit.
pseudonym Aber auch dieses fiel nicht einfach so vom Himmel, sondern war das Resultat harter Arbeit. »Und eines psychischen Zusammenbruchs im Alter von 24 Jahren.« Danach war für sie nichts mehr wie vorher, es folgte sogar die Annahme eines Pseudonyms – denn Lana Lux ist nicht ihr Geburtsname. »Aber dafür ist Lana Lux genau die Person, die ich bin.«
Auf die Frage, was an ihr noch ukrainisch, was deutsch sei, lautet ihre Antwort ein wenig überraschend: »Meine Staatsbürgerschaft ist weiterhin ukrainisch, aber Deutsch ist meine Lieblingssprache.« Auf diese könnte sie nicht mehr verzichten, auch wenn Lana Lux nicht mehr in Deutschland leben würde. »Die Sprache ist nicht an einen geografischen Ort gebunden.« Das klingt nach einer sehr alten jüdischen Erfahrung.
Apropos jüdisch: Für die Umschreibung des wiedererstarkten jüdischen Lebens hat sie einen ganz eigenen Terminus geprägt, und zwar den der »Aufforstung«: »Gerne habe ich mein Gegenüber aus der Fassung gebracht, wenn ich gefragt wurde, weshalb meine Familie hierher nach Deutschland gezogen ist«, erzählt sie mit einem Lachen. »Dann sprach ich von der jüdischen Aufforstung und dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoa die neuen Bäume sein sollten, die hier gepflanzt werden.«
Auch zum Thema Glauben und Tradition hat sie eine klare Meinung. »Es braucht die jüdische Religion, sie ist das Herzstück des Judentums, ohne das es nicht leben kann«, so ihre persönliche Auffassung. »Gleichzeitig gibt es auch die Ränder, und dort sehe ich eher meinen Platz.«