Der Österreicher Clemens J. Setz steht im Ruf, sympathisch verschroben zu sein. Wenn er etwa erklärt, er ernähre sich aus gesundheitlichen Gründen ausschließlich von Fleisch. Weniger sympathisch ist anderen seine Rolle als »Aufklärer« in einem Nachrichtenmagazin, wo er seinen Penis thematisiert: Vor der späten Phimose-Beschneidung sei der Sex besser gewesen.
Zugleich ist Setz einer der höchstdekorierten Autoren deutscher Sprache. Zuverlässig wird ihm das Attribut »genial« verliehen. Jetzt ist sein Roman Monde vor der Landung für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, den er 2011 für Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes bereits gewann.
Darin geht es um einen sympathisch Verschrobenen, Peter Bender, und dessen jüdische Ehefrau Charlotte Asch. Anfang der 1920er-Jahre gründet der ehemalige Fliegerleutnant in Worms eine Religionsgemeinschaft nach der Hohlwelttheorie des 17. Jahrhunderts; davon ausgehend, die Menschheit lebe auf der Innenseite der Erde, und das Weltall befinde sich im Zentrum der Kugel. Nach der Machtergreifung der Nazis wird er verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
SCHICKSAL Die Geschichte ist ein biografischer Roman. Montiert sind Korrespondenzen, Fotos, Illustrationen, was in der Form an W. G. Sebalds Austerlitz erinnert und Setz neben dem üblichen Attribut auch die Kritik eintrug, dies sei ein »unanständiges Buch«, in dem er das Schicksal der Figuren lustvoll vorführe.
Warum? Handwerklich ist nichts auszusetzen. Setz bleibt perspektivisch konsequent bei seinem Protagonisten. Dialogisch zuweilen gestelzt, verzichtet er auf ironische Brechung und billige Psychologie. Er soll sogar einen Recherchedienst beauftragt haben, ein neuer Spleen unter Autoren, die sich das leisten können.
Am Ende folgt, was 500 Seiten ausgespart bleibt: Bender wird in Mauthausen ermordet, Charlotte in Auschwitz. Das markiert vielleicht einen Unterschied zu unterhaltsamen Romanen über Sigmund Freud oder Angela Merkel.
Clemens J. Setz: »Monde vor der Landung«. Suhrkamp, Berlin 2023, 528. S., 26 €