Im holzvertäfelten Salon des Hauses Wahnfried wird eine klamottige Maskerade aufgeführt. Richard Wagner persönlich führt Regie, sein Schwiegervater Franz Liszt mimt den Veit Pogner, Hausherrin Cosima hat Migräne, und mit dem jüdischen Kapellmeister Hermann Levi treibt Wagner seine historisch verbürgten Demütigungsspäßchen. Da Levi sich von Wagner nicht ins christliche Religionsritual zwingen lässt, wird er dazu genötigt, den »Merker« Sixtus Beckmesser zu spielen – eine jener Opernfiguren, in denen Wagner seinen Judenhass auf die Bühne gebracht hat.
Bis heute schleppen Wagners Meistersinger schwer an den völkisch-antisemitischen Ideen ihres Schöpfers – aller musikalischen Avanciertheit zum Trotz, die in dieser Partitur auch steckt. Dass die Oper als Lieblingswerk Hitlers auch als Reichsparteitagsoper und gegen Kriegsende als Durchhaltestück in Bayreuth diente, macht die Sache nicht einfacher. »Hitlers Hoftheater« nannte Thomas Mann die Festspiele auf dem Grünen Hügel. Wie kann man mit diesem Stück an diesem Ort überhaupt sinnvoll umgehen?
Coup Barrie Kosky ist mit seiner Inszenierung ein großer Coup gelungen. Er trägt dem Komödiencharakter des Stückes auf eine Weise Rechnung, die dem Publikum das Lachen bald im eigenen Halse stecken bleiben lässt. Im ersten Akt träumt Kosky so Funken sprühend witzig Biografie, Entstehungshintergrund und Werk Wagners zusammen, dass man es sich darin bequem machen kann. Mit dem Ende des Akts fährt das Wahnfried-Puppenhaus ans Bühnenende, und wir befinden uns plötzlich im Schwurgerichtssaal der Nürnberger Prozesse.
Vor Gericht, das heißt auf dem Prüfstand, steht das Werk, steht Wagner selbst, steht das Publikum, das seinen eigenen Wagnerkult reflektieren muss. Die Prügelszene des zweiten Akts zeigt Kosky als Pogrom, bei dem Beckmesser mit einem großen Pappmascheekopf zu einer Judenkarikatur wie aus dem »Stürmer« entstellt wird. Die gleiche Fratze bläst sich als ein riesiger Ballon zu einem geradezu omnipräsenten Wahnbild des antisemitischen Hasses auf.
Koskys provokante Bilderflut bestürmt den Zuschauer auf eine Weise, die seine Deutungsanstrengungen beständig irritiert und produktiv in Bewegung hält. Und auch über die Bühne hinaus hat er Bayreuth aufgerüttelt. Seine Inszenierung gab den Anstoß dazu, erstmals ein Programm durchzuführen, das unter dem Titel »Diskurs Bayreuth« Wagners ambivalente Rolle während der NS-Zeit hinterfragte.