Vom Plakat des 16. Jewish Film Festival lacht ein Vogel Strauß aus vollem Hals. »Der Strauß ist extrem widerstandsfähig«, sagt Nicola Galliner, Leiterin der Filmtage. »Er übersteht Attacken von Löwen und Leoparden, er kann 70 Stundenkilometer rennen. Irgendwie habe ich das Jewish Film Festival in ihm wiedererkannt.« Noch vor zwei Monaten hatte es so ausgesehen, als ob das Festival in diesem Jahr ausfallen müsste. Der Hauptstadtkulturfonds, in den vergangenen Jahren wichtiger Sponsor, verweigerte seine Unterstützung . Schließlich sprang die Senatskanzlei ein und sicherte die Durchführung. Unterstützung kam auch von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und vom Film- und Fernsehproduzenten Studio Hamburg.
bunte mischung So kann das Festival planmäßig am 25. April beginnen. 23 Filme aus Israel, den USA und Europa werden bis zum 9. Mai im Berliner Kino Arsenal und im Filmmuseum Potsdam gezeigt. Einen speziellen Schwerpunkt gibt es diesmal nicht. Unaufgeregte Spielfilme aus Israel, flippige Inszenierungen aus den USA oder schwule Komödien beleuchten jüdisches Leben in Israel, Amerika und Europa aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Eröffnet wird mit dem französischen Spielfilm He’s my Girl von Jean-Jacques Zilberman. Haupfigur ist, wie bereits in einem Vorgängerfilm, Simon Eskenazy, ein homosexueller Klesmermusiker, der gleichzeitig versucht, sich seinen neuen Lover und seine Ex-Frau vom Leibe zu halten. Am selben Abend läuft auch Leap of Faith von Antony Benjamin und Stephen Z. Friedman aus den USA, eine gut gemachte Dokumentation über Amerikaner, die zum orthodoxen Judentum konvertieren. »Der Film hat in Amerika bei jüdischen Filmfestivals sehr viel Zuspruch erfahren«, sagt Nicola Galliner. Anders als Übertritte in Deutschland, die bis heute häufig von Familiengeschichten aus der NS-Zeit überschattet sind, zeigt diese Produktion in erster Linie religiös motivierte Zugänge zum Judentum.
Ausgesprochen schräg ist Romeo und Juliet in Yiddish von Eve Annenberg aus den USA. Die Regisseurin lässt Shakespeares Romeo und Julia neu ins Jiddische übersetzen, mithilfe von zwei jungen Aussteigern aus der ultraorthodoxen Satmarer-Sekte und einem ehemaligen Lubawitscher, die in ihren Jeschiwot noch nie von klassischer Literatur gehört hatten. Die drei obdachlosen Ex-Chassidim, die ihr Leben durch Diebstähle und Drogengeschäfte finanzieren, haben ihre eigene Shakespeare-Interpretation: Sie sehen in den verfeindeten Familien Romeos und Julias Anhänger von Chabad und Satmar, die die Liebe des jungen Paares auf den Altären ihrer Höfe opfern. Mit viel Witz und Situationskomik dokumentiert der Film die existenziellen Herausforderungen, mit denen Aussteiger aus der Ultraorthodoxie konfrontiert sind.
kooperation Erstmals kooperiert das Berliner Filmfest in diesem Jahr mit dem Haifa International Film Festival. Five Hours from Paris, der Debütfilm des russisch-israelischen Regisseurs Leon Prudovsky, gewann dort 2009 den Spielfilmpreis. Prudovsky erzählt eine auf den ers ten Blick unspektakuläre Liebesgeschichte zwischen Yigal, einem israelischen Taxifahrer, und Lina, einer Musiklehrerin und Neueinwanderin aus Russland. Gegen Ende schaltet der Film dann in einen höheren Gang: Die Kraft der Liebe lässt den alleinstehenden Vater Yigal, geplagt von Flug- und Verlassensängsten, über sich hinauswachsen. Eine alltägliche Liebesgeschichte aus Israel, ohne Terror, Politik und Besatzung.
Eine Perle im Programm ist der Dokumentarfilm André Previn – Eine Brücke zwischen den Welten von Lilian Birnbaum und Peter Stephan Jungk. Previn, 81 Jahre alt und gebürtiger Berliner, ist klassischer Dirigent, Komponist, Jazzpianist und vierfacher Oscarpreisträger für Filmmusik. Vor der Kamera trifft er sich zu perfekt inszenierten Interviews mit zwei seiner fünf Ex-Frauen, Mia Farrow und Anne-Sophie Mutter, und stellt sich den kritischen Fragen seiner Söhne.
Aus Russland kommt der Filmessay A Room and a Half von Andrej Khrzanovsky. Mit Dokumentarmaterial und Animationsszenen zeichnet der Regisseur ein lyrisches Porträt des Dichters und Nobelpreisträgers Joseph Brodsky (1940–1996).
Bereits auf der diesjährigen Berlinale zu sehen war Shtikat Ha-Archion (Geheimsache Ghettofilm) von Yael Hersonski. Die Israelin nahm sich eines NS-Propagandafilms an, der im Frühjahr 1942 im Warschauer Ghetto gedreht wurde. Perfide inszenierte Szenen sollten das »Luxusleben« reicher Juden zeigen, angeblich auf Kosten der hungernden jüdischen Massen. Eines der menschenverachtendsten Filmdokumente des 20. Jahrhunderts.
Ausgewählte Filme aus dem Berliner Programm sollen nach dem Wunsch von Nicola Galliner auch dieses Jahr wieder bundesweit gezeigt werden. »In England bereist das jüdische Filmfestival 25 Städte. Das ist der Sinn eines solchen Festivals.« Eine Finanzierung sei bereits in Sicht. Und wer bezahlt das 17. Jewish Film Festival Berlin im kommenden Jahr? Ab dem 10. Mai will sich Nicola Galliner darüber Gedanken machen. Denn nach dem Festival ist vor dem Festival.
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