Frankfurt

Vorbilder und Visionen

Aufbruchsstimmung: Barbara Traub, Kulturdezernentin Ina Hartwig und Sabena Donath (v.l.) Foto: Rafael Herlich

Sie sind klug, selbstbewusst und erfolgreich: junge jüdische Frauen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren. Feminismus – steht dieser Begriff nicht für die Kämpfe, die ihre Mütter und Großmütter ausgefochten haben? »Aber haben Frauen tatsächlich bereits alles erreicht?« Diese Frage stellten sich Laura Cazés und Dalia Grinfeld. Beide sind Ende 20 und politisch sehr engagiert, Grinfeld als Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), Cazés als Referentin für Verbandsentwicklung bei der ZWST und als ehrenamtliche Leiterin des Frauenreferats der JSUD. Und ihre Antwort lautete: »Wir haben viel erreicht. Aber es reicht noch nicht.«

»Ich war überrascht, dass diese jungen Frauen immer noch dieselben Erfahrungen von Benachteiligung und Diskriminierung machen wie meine Generation«, sagt Sabena Donath, die Leiterin der Bildungsabteilung im Zentralrat. »Aber es stimmt: Frauen sind heute besser ausgebildet denn je und doch nicht wirklich präsent in den wichtigen politischen Gremien.«

Worin bestehen die Barrieren, gerade im jüdischen Umfeld?

Das weckte ihre Neugier: Welche Unsicherheiten und welche Visionen haben diese jungen jüdischen Frauen, auf welche Vorbilder berufen sie sich, und wo wollen sie hin? Und worin genau bestehen die Widerstände und Barrieren, die sie überwinden müssen, auch oder gerade in ihrem jüdischen Umfeld? Mit welchen Rollenbildern und -erwartungen sehen sie sich konfrontiert? Sabena Donath war sofort bereit, mit ihrer Erfahrung und ihrer Kompetenz bei der Vorbereitung des ersten »Jewish Women Empowerment Summit« mitzuwirken, um einen Raum zu schaffen, offen über alle diese Fragen zu sprechen. »Ich bin dankbar dafür, dass der Zentralrat mir das Vertrauen geschenkt hat, diese Veranstaltung zusammen mit Laura Cazés und der JSUD zu organisieren«, sagt sie.

Tradition Zur Eröffnung war auch Barbara Traub, Mitglied des Präsidiums im Zentralrat, nach Frankfurt gekommen. Sie erinnerte daran, dass genau vor 100 Jahren Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht erhalten hatten. Aber bei allen Chancen, die sich für Frauen heute eröffnen, bleibe das Spannungsfeld »zwischen »jüdischer Mamme und Karrierefrau«, zwischen Tradition und Emanzipation bestehen. »Wir müssen die Voraussetzungen dafür schaffen, dass starke Frauen ihren Weg gehen können«, forderte Traub.

Dass Frankfurt als Veranstaltungsort gewählt wurde, geschah nicht zufällig. So außergewöhnlich das Format eines Frauengipfels auf den ersten Blick erscheinen mag – »uns ist bewusst, dass wir nicht bei null anfangen, sondern uns auf eine beeindruckende Tradition von Vorkämpferinnen berufen können«, erklärt Sabena Donath. Vor allem in Frankfurt, der Stadt, in der Bertha Pappenheim, die Gründerin des Jüdischen Frauenbunds, wirkte und in der es seit Langem eine liberale Gemeinde mit einem egalitären Minjan und einer Rabbinerin gibt.

Kunst Auch die Malerin Lotte Laserstein, deren Werke zurzeit im Frankfurter Städelmuseum gezeigt werden, kann als Wegbereiterin gelten. Als eine der ersten Frauen durfte sie an der Berliner Kunstakademie studieren. Darüber hinaus setzte sie durch, als erste Frau überhaupt an den Kursen für Aktzeichnen in der Akademie teilnehmen zu können. Zum Angebot im umfangreichen Programm des Summit gehörte auch eine Führung durch die Ausstellung von Lasersteins Bildern.

Teilnehmerinnen kamen aus Österreich, England, Australien und Israel.

Vier Tage in Frankfurt – für viele der 120 Teilnehmerinnen dürften sie einen Aufbruch bedeutet haben, auch wenn sie vielleicht noch nicht genau wissen, wohin dieser Aufbruch sie führen wird. Aus Österreich, England, Australien und Israel waren sie zum Teil angereist. »Die halbe Stadt spricht von dieser Konferenz«, hat Sabena Donath während des Gipfels beobachtet. »Das ist die eine wichtige Erfahrung: Jüdische Frauen kommen zusammen und bilden eine Gemeinschaft. Das gipfelte im gemeinsamen Erlebnis des Schabbats. 80 Frauen sind am Freitagabend zusammen in die Westend-Synagoge gegangen, wo uns die Frankfurter Rabbiner mit offenen Armen empfangen haben.«

Ebenso wichtig ist ihres Erachtens die Erfahrung der Diversität: »Wir sind viele, und wir sind vielfältig.« Diese erste Zusammenkunft habe zunächst nur das breite Spektrum an Themen aufgezeigt. »Jetzt gilt es, die Schwerpunkte herauszufinden. Einer wird sicherlich sein: Wie viel Feminismus ist innerhalb der Orthodoxie möglich?«, meint Sabena Donath.

Autonomie »Empowerment« – was bedeutet dieser Begriff eigentlich? Übersetzen lässt er sich mit »Selbstermächtigung«, mit »Erreichen eines höheren Grades an Autonomie«. Konkret kann das ebenso das Recht über den eigenen Körper, sexuelle Selbstbestimmung, Gesundheitsvorsorge wie auch ein professionelles Selbstmarketing und eine erfolgreiche Strategie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie einschließen.

Das dicht gepackte Programm des Summit versuchte, diese Begriffsfülle abzubilden, angefangen beim morgendlichen Yoga über kreative Workshops in Tanzen, Schauspiel, Zeichnen und Schreiben, Training in selbstbewusstem Auftreten und Zeitmanagement, einem Seminar über »erfolgreiches Scheitern« bis zu Gesprächskreisen über »Selbstbestimmung und Anpassung in der weiblichen Sexualität«.

Dass es noch viel zu tun gibt, das machte bereits der Auftaktvortrag der Medienforscherin Maya Götz deutlich. Götz leitet das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen des Bayerischen Rundfunks. Einerseits konnte sie nachweisen, dass es »fast ausschließlich Männer sind, die das Bild von der Welt im Fernsehen für Kinder inszenieren. Und wer die Macht hat, stellt sich als Normalfall dar.«

perfektionswahn Andererseits beschrieb sie eindrücklich den Perfektionswahn junger Frauen, der durch die sozialen Medien noch angeheizt wird. »Sie wollen gleichzeitig beruflich erfolgreich, sexuell aktiv, gertenschlank, gepflegt, gesund ernährt und eine fürsorgliche Mutter sein. Dabei wird das Aussehen allerdings immer mehr zur zentralen Kategorie« (vgl. Jüdische Allgemeine vom 14. Februar). Götz plädierte dafür, der eigenen Individualität mehr Raum zu geben und den Deutungsmustern, die durch den Konsum vorgegeben seien, andere Selbstbilder entgegenzusetzen.

Am Ende dieser vier Tage sind sich alle einig. »Das ist der Anfang von etwas Großem«, fasst Dalia Grinfeld die Stimmung zusammen. Und Sabena Donath ergänzt: »Der großartige Anfang von etwas Großem.«

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