Sein Name dürfte der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sein. Doch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die größte Bildungsgewerkschaft Deutschlands, streitet sich bis heute über ihn: Max Traeger, Hamburger Lehrer sowie Gründungsmitglied und erster Vorsitzender der GEW von 1947 bis 1952 und dann noch einmal von 1958 bis zu seinem Tod im Jahr 1960.
Im selben Jahr wurde die wissenschaftliche Stiftung der GEW mit Sitz in Frankfurt am Main nach ihm benannt, die bis heute Max-Traeger-Stiftung heißt. Im Kern dreht sich der seit einigen Jahren erbittert geführte Streit um die Frage: War Max Traeger ein Nazi-Mitläufer oder vielmehr ein Vorbild, gar ein Widerstandskämpfer?
Umbenennung In einem Offenen Brief an den Hauptvorstand und die Mitglieder der GEW unter dem Titel »Max Traeger – kein Vorbild!« forderte der »Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten der GEW« (BASS) im vergangenen Jahr die Umbenennung der gewerkschaftseigenen Stiftung.
Seine Argumente lauten: Traeger war Mitglied des NSLB, des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, hatte 1933 daran mitgewirkt, die Hamburger »Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens«, einen der ältesten Lehrervereine der Welt, in die NSLB zu überführen, und bemühte sich nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich, ein 1935 vom NSLB einer jüdischen Erbengemeinschaft abgekauftes Haus in der Rothenbaumchaussee 19 (Ro 19) als Eigentum der GEW zu reklamieren.
Die Studenten schlagen in ihrem Offenen Brief vor, die Stiftung stattdessen nach einem weiteren Mitbegründer der GEW zu benennen, nämlich nach Heinrich Rodenstein, der ab 1960 als Nachfolger Traegers Vorsitzender der GEW war, im Dritten Reich zunächst versucht hatte, sich als Lehrer der Nazi-Ideologie zu widersetzen, und sich, als er die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens einsah, zur Emigration entschloss.
Goethe-Universität Der BASS beruft sich auf Recherchen von Benjamin Ortmeyer, Leiter der Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Frankfurter Goethe-Universität. Im Herbst vergangenen Jahres hat Ortmeyer gemeinsam mit Saskia Müller ein Buch über den NSLB veröffentlicht (Die ideologische Ausrichtung der Lehrkräfte 1933–1945. Herrenmenschentum, Rassismus und Judenfeindschaft des Nationalsozialistischen Lehrerbundes. Eine dokumentarische Analyse des Zentralorgans des NSLB, Beltz Juventa), das soeben in einer zweiten, verbesserten Auflage erschienen ist.
Darin weisen die Autoren nach, dass 97 Prozent aller Lehrer während der Nazizeit im NSLB organisiert waren, dass es sich bei diesem um keine bloße Interessenvertretung gehandelt hat, sondern dass er maßgeblich an der Verbreitung rassistischer, antisemitischer und eugenischer Ideologie im Schulunterricht beteiligt war, und dass nach Ende des Zweiten Weltkriegs die meisten NSLB-Mitglieder wieder in den bundesrepublikanischen Schuldienst übernommen wurden – ein Vorgang, den Müller und Ortmeyer als »Renazifizierung« bezeichnen. Aus diesen Zahlen folgt natürlich auch, dass ein großer Teil der Mitgliederschaft der GEW in den frühen Jahren der Bundesrepublik aus Altnazis bestand.
Am Ende des Bandes befindet sich ein kurzes Kapitel, in dem Max Traeger vorgeworfen wird, er habe nach 1945 an der Legende mitgestrickt, die deutschen Lehrerverbände seien zwangsweise in den NSLB eingegliedert worden – dabei hätten sie sich, so Müller/Ortmeyer, begeistert freiwillig gleichgeschaltet.
Antrag Die GEW Hessen unterstützt das Anliegen Ortmeyers und des BASS. Im Hauptvorstand der GEW wurde der Antrag der GEW Hessen, die Max-Traeger-Stiftung umzubenennen, jedoch Ende März mit über 90 Prozent abgelehnt. Stattdessen wurde ein Manuskript vorgelegt, demzufolge Traeger nicht nur kein Mitläufer gewesen sei, sondern vielmehr ein Widerstandskämpfer, auf den man stolz sein könne.
Dieses Manuskript stammt von dem Grünen-Politiker Hans-Peter de Lorent, der in den 80er- und 90er-Jahren mehrere Monografien über die Schulpolitik im Dritten Reich vorgelegt hat. Im Auftrag der GEW hat er eine Biografie Max Traegers geschrieben, die auf dem Bundesgewerkschaftstag der GEW, der vom 6. bis 10. Mai in Freiburg stattfindet, vorgestellt werden soll.
In dem Manuskript dieser Biografie, das der Jüdischen Allgemeinen vorliegt, wird der Umstand, dass Max Traeger von den britischen Militärbehörden im Entnazifizierungsverfahren als »Mitläufer« eingestuft wurde, völlig verschwiegen. Zum Kauf des Hauses Ro 19 heißt es gar, die jüdische Erbengemeinschaft habe die baufällige Immobilie ohnehin loswerden wollen und sie zu einem damals »angemessenen« Preis an den NSLB verkauft – von einer »Arisierung« könne also gar keine Rede sein. Ferner wird noch als Argument ins Feld geführt, dass die GEW das Haus im Jahr 2005 für 2,5 Millionen Euro an Chabad Lubawitsch verkauft und 400.000 Euro davon an die Jüdische Gemeinde Hamburg gespendet habe. Schwer vorzustellen, dass diese Argumente die Kritiker überzeugen werden.
In einem Interview mit der »hlz – Zeitschrift der GEW Hamburg« (Ausgabe März/April 2017) gab Hans-Peter de Lorent einen Vorgeschmack auf seine kommende Publikation. »Max Traeger war kein Nazi. Er ist nie in die NSDAP eingetreten«, sagt er dort. »Er war im Gegenteil Opfer der Nationalsozialisten, weil er 1933 als Schulleiter abgesetzt und durch einen Nazi ersetzt wurde. Er hat als Lehrer dann weiterarbeiten können.«
Der Vorwurf, Traeger sei NSDAP-Mitglied gewesen, wurde allerdings von niemandem erhoben. Ortmeyer und den GEW-Studenten war es stets um die Rolle Traegers bei der Gleichschaltung der Hamburger Lehrergewerkschaft und später bei der Rückgewinnung eines arisierten Hauses in den Besitz der GEW gegangen. Fraglich ist überdies, ob es einem ausgewiesenen Nazi-Gegner möglich gewesen wäre, bis 1945 durchgängig in Deutschland als Lehrer tätig zu sein, ohne NS-Ideologie im Unterricht zu vermitteln.
Aufarbeitung Immerhin hat sich die GEW inzwischen dazu entschlossen, ihre Geschichte von unabhängigen Wissenschaftlern aufarbeiten zu lassen. Dazu gehören der bereits erwähnte Hans-Peter de Lorent sowie die Historiker Detlev Brunner und Jörn-Michael Goll, die an der Universität Leipzig ein Forschungsprojekt zum Thema »GEW und die NS-Vergangenheit« leiten sollen.
Benjamin Ortmeyer, der seit den 90er-Jahren eine solche Aufarbeitung fordert, begrüßt diese Schritte, zeigt sich im Nachwort zur Neuauflage seines Buches allerdings besorgt, dass zwei entscheidenden Fragen weiterhin ausgewichen wird: »War der Übergang der alten Lehrervereine 1933–34 in den NSLB freiwillig oder zwangsweise? Welche Kontinuitäten – argumentative, finanzielle und personelle – gab es zwischen NSLB und GEW?« Auf dem Gewerkschaftstag am kommenden Wochenende wird die Debatte sicherlich weitergehen.